Am Morgen unseres geplanten Abfluges nach Amman, Jordanien sind wir früh auf den Beinen, Hena und Ekin ebenfalls. Obwohl sie es nicht müssten, haben sie darauf bestanden, mit uns noch einen Kaffee zu trinken. Wahrscheinlich will Ekin auch ein paar Stunden früher mit der Arbeit starten, um auszugleichen, dass er mit uns am Tag vorher bis Mittag für PCR-Test im Krankenhaus und zur Reparatur im Fahrradladen zugebracht hat. So sitzen wir gemeinsam 06:00 ein letztes Mal am Frühstückstisch. Der Fahrer mit dem Transporter ist ganz pünktlich 06:20 da, so kann auch er noch einen Çay mit uns trinken und etwas von dem Cheesecake essen, den ich zum Abschied gebacken hatte. Noch ein letztes Stück auch für uns, danach müssen wir wirklich Diät machen, sagen wir uns. In Jordanien ist das Essen teurer, wir sind optimistisch, dass das unseren Diätplänen entgegenkommt.
Auf dem Weg zum Flughafen erzähle ich Till von dem Testergebnis. Er ist ganz ruhig und wir sind uns einig, dass wir diesen irrationalen Befund abklären lassen müssen. Dann hält der Wagen am Flughafen und wir wuchten die Räder und das Gepäck auf zwei der Trolleys, mit denen mittlerweile vor jedem Flughafen ein Geschäft gemacht wird. Nach dem Passieren der Eingangstür muss alles wieder runter, auf das Band vom Gepäckscanner und dahinter wieder rauf auf die Trolleys. Da kommen wir schon das erste Mal ins Schwitzen. Aber dann sind wir drin, rechtzeitig, der Check-in-Schalter ist noch geschlossen. Wir beschließen, die Zeit zu nutzen, um unsere verbleibenden türkischen Lira in jordanische Dinar zu tauschen und einen zweiten Schwangerschaftstest in der Flughafenapotheke zu holen. Ich habe mich immer gefragt, wer wohl Schwangerschaftstests am Flughafen kauft. Nun habe ich eine Idee.
Gerade als wir die Apotheke verlassen, öffnet der Schalter und zwei Damen führen in der Warteschlange einen Dokumentencheck durch. Wir haben letztlich auch eine Bestätigung unserer Versicherung und auch für unseren Gesundheitsantrag bezüglich Impfgenehmigung erhalten, und mehrfach gecheckt, dass wir alle notwendigen Dokumente beisammen haben, daher sind wir sehr guter Dinge. Die Damen beschauen alles und bleiben an dem PCR-Test-Zertifikat hängen. Eine Weile diskutieren sie miteinander. Wir verstehen die Aufregung nicht, haben wir doch extra darauf geachtet, den Test in einer staatlichen Klinik durchführen zu lassen, und auch das Zertifikat weißt den notwendigen QR-Code auf. Wir hatten gelesen, dass hier viel Schindluder von privaten Unternehmen getrieben wird und die Zertifikate dieser nicht anerkannt werden.
Nach etwas Diskussion erklären Sie, dass der Test nicht von einem der drei von der Jordanischen Regierung genehmigten Testlaboren in Ankara durchgeführt wurde. Uns fällt die Kinnlade herunter. Eines der drei genehmigten Testlabore? Wo kommt das denn plötzlich her? Davon haben wir nirgends gelesen! Wir kommen erneut ins Schwitzen. Sie zeigen uns auf ihrem Handy eine Webseite, auf der dies tatsächlich angegeben ist. Auf den Seiten der Regierung, die wir als Grundlage hatten, stand diese Einschränkung nicht, Test eines offiziellen Labors hieß es da. Wir legen unsere Grundlage dar, aber natürlich sitzen wir am kürzeren Hebel. Wenn sie sagen, Jordanien akzeptiert nur Tests dieser drei Labore, dann können wir noch so sehr der Meinung sein, wir sind im Recht, es bringt uns nicht weiter. „Was können wir jetzt tun?“ Fragen wir. Nicht einmal das Testzentrum am Flughafen ist unter den drei Laboren gelistet! Ganz abgesehen davon, dass der Abflug vor den acht Stunden Wartezeit bis zum Ergebnis liegt. Es sieht nicht gut aus, aber die Dame will ihren Supervisor in Jordanien befragen. Wir treten also aus der Schlage zur Seite, und warten.
Die Zeit vergeht, der Check-in läuft. Wir fragen noch einmal, ob schon eine Rückmeldung vorliegt. Nein. Die Dame meint, wir sollen uns in die Wartezone setzen, sie würde uns Bescheid geben, sobald sie Antwort hätte. Die Uhr läuft weiter, bis zum Boarding ist nun nur noch eine Stunde verbleibend. Die Schlange am Schalter wird immer kürzer, die letzten Passagiere scheinen jetzt einzuchecken. Wir beten und hoffen auf eine ‚Zwischenlösung‘: sofortiger Test am Flughafen in Amman, dann häusliche Quarantäne und ein zweiter Test nach ein paar Tagen. Oder sowas. Aber viel Hoffnung haben wir nicht.
Hat sie uns vergessen? Wir sitzen einiges entfernt vom Schalter. Und wenn ich von mir selbst ausgehe: aus den Augen aus dem Sinn… Dann der erlösende Moment: sie winkt uns zu sich hinüber. Egal wie jetzt, wenigstens hat dieses unerträgliche Warten ein Ende. Und: unsere Tests werden nun doch anerkannt! Ein Stein fällt uns vom Herzen. Wir danken ihr und stapfen auf direktem Weg mit unserem Bündel an Dokumenten zum Schalter. Alle Dokumente sind in Ordnung und auch mit dem Gepäck gibt es keine Probleme. Nun schnell zu den Sicherheitskontrolle und Passkontrolle. So, nun sind wir schon mal offiziell ausgereist. Ob wir in Jordanien wirklich einreisen können, ein Visum on arrival bekommen und auch dort die Impfung und das Testergebnis wirklich akzeptiert werden? Wir sind uns noch nicht sicher!
Alle Checks laufen glücklicherweise ohne weitere Verzögerung und wir kommen am Gate an, als das Boarding gerade startet. Die Damen vom Dokumentencheck am Check-in stehen schon bereit. Till hat beim Warten einen Becher bei Starbucks besorgt, die verbleibenden Minuten nutze ich, um den zweiten Test durchzuführen. Hm. Immer noch so. Dass zwei Tests falsch sind, ist eher unwahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit für einen hormonbildenden Tumor wächst in meinem Kopf. Ja, gleich in Amman müssen wir das abklären lassen.
Mit diesem Vorsatz besteigen wir den Flieger und heben ab. Ankara wird ganz klein unter uns, dann steigen wir über die Wolken auf und es gibt nur noch weiße Watte unter uns zu sehen. Tschüssi, Türkei! Ein bisschen wehmütig lassen wir Baklava, Künefe, Çiğ köfte Dürüm und ganz viel Gastfreundschaft hinter uns. Doch nach sechs türkischen Wochen fühlen wir uns auch bereit für das nächste Land. Jordanien. Ich habe keine Vorstellung davon, was uns erwartet. Dann lichten sich die Wolken und das Mittelmeer wird unter uns sichtbar. Scheinbar fliegen wir über Israel (welches noch immer keinen Individualtourismus zulässt). Gelbe Berge tauchen hinter dem kleinen Bullaugenfenster auf, wir sinken unter die Wolken. Und dann Wüste. Sand, Sand, Sand. Till schluckt ein bisschen. „Und da wollen wir also mit dem Rad entlangfahren.“ Ist es Feststellung? Zweifel? Oder Furcht? Eine einzige Straße zieht sich hindurch, dann erblicken wir Amman: eine riesige Metropole, eine Millionenstadt scheinbar inmitten der Wüste.
Wir landen und betreten den modernen, klimatisierten Flughafen; noch merkt man von den 36°C Außentemperatur nichts. Zunächst werden die Impfdokumente gecheckt, zweifach geimpft, grüner Durchgang, mit dem QR-code gibt es keine Probleme. Puh, erste Hürde überstanden. Dann geht es weiter zur Passkontrolle und Visumstelle. Es gibt zwei Schalter, parallel betritt ein anderer Herr den Schalter neben uns. Die Dame checkt wortlos unsere Pässe und den Jordanpass, den wir im Vorfeld erworben haben. Mit den umgerechnet 85 € haben wir Zugang zu allen Museen und Attraktionen des Landes, und die Visumgebühr soll deutlich reduziert sein. Doch um wie viel – darüber ist sich das Internet nicht ganz einig. Der Mann neben uns ist fertig und die nächste Dame ebenfalls. Noch immer ist unsere Beamtin mit unseren Dokumenten zugange. Dann hören wir das erleichternde Klackern des Stempels in unseren Pässen, Gebühr möchte sie wegen dem Jordanpass keine. Wir beschweren uns nicht 🙂
Wir laufen in Richtung der Exit-Schilder, durch den Zoll und dann sind wir eingereist. Für heute und morgen haben wir einen Couchsurfing-Host, einen 84jährigen Mann, der in den 70ern in Deutschland studiert hat. Seine Wohnung liegt 60 km entfernt, genau am anderen Ende der Stadt (mit 2×400 zu überwindenden Höhenmetern). Er hat uns davon abgeraten, an einem Donnerstag mit dem Rad durch die komplette Stadt zu fahren. Es sei der Hauptverkehrstag vor dem Wochenende (Freitag=Feiertag, wie unser Sonntag und eine Millionen Menschen fahren aus der Stadt). Er hatte angeboten, uns abzuholen, doch die Fahrradkartons sind zu groß für sein Auto. Und an dieser Stelle endete unsere Kommunikation mit ihm. So wissen wir nicht genau, wie wir jetzt weiter verfahren.
Wir laufen durch die Eingangshalle, eine Stimme spricht uns auf Deutsch plötzlich an: „Suchen Sie etwas?“ Es ist Farouq! Lächelnd steht er vor uns, obwohl wir ihm schrieben, die Boxen wären zu groß. Er lächelt ein wenig weniger, als er sieht, dass wir zwei davon haben. Irgendwie ein Kommunikationsproblem. Eine, dachte er, sollte doch irgendwie unterzubekommen sein, doch bei den beiden ist auch er wenig optimistisch. Wir versuchen es trotzdem. Beide Räder, oder besser die Teile davon, die in den Boxen stecken, holen wir aus letzteren heraus und verteilen sie in Kofferraum, auf und vor der Rücksitzbank. Der Kofferraum geht zwar nicht zu und wir müssen uns beide auf dem Fahrersitz verteilen (ich mehr im Fußraum), doch das ist Jordanien und es ist ok. Gleich an der Flughafenausfahrt gibt es einen Polizeikontrollposten – kein Problem.
Ich bin so neugierig und linse immer wieder aus dem Fußraum nach oben. Durch die Windschutzscheibe sehen wir gelbes Land, gelben Sand, gelbe und braune Häuser; ein paar Olivenbäume, am Straßenrand wird Obst von den Lastern herab verkauft, und: viel Verkehr. Die Straßen sind voll, die Fahrer verrückt, dazu gibt es einige steile Anstiege zu bewältigen. Wir sind wirklich dankbar über diesen unverhofften Abholservice!
Nach dem ersten Wiederbelebungsversuch für die Räder hat Farouq Tee und Datteln für uns, dann kocht er mit uns Linsensuppe, lässt uns an all seinen Gewürzdosen schnuppern (Rosmarin gibt es in Form des Harzes, Gummi arabicum zum Andicken, arabischer Thymian ist anders als unserer) und er führt uns in die Gepflogenheiten des Landes ein. Es ist eines der wasserärmsten Länder der Welt und Wasser muss überall gespart werden. Im Haushalt wird gespart und auch vor den Moscheen, werden wir feststellen, gibt es kein Wasser mehr. „Doch Bäume haben wir!“ scherzt Farouq, und deshalb wird mit Papiertüchern verschwenderisch umgegangen. Lieber Hände abwischen als waschen, Teller erst mit einem Tuch putzen, dann einseifen und dann mit wenig Wasser abspülen. Erste Lektion gelernt! 😉
Zwar ist uns das wilde asiatische Leben in den Städten bekannt, doch als wir am folgenden Tag einen Streifzug durch das Stadtzentrum und über den Basar machen, fühlt es sich doch nach einem Kulturschock an. Es ist heiß, staubig, dunkle Abgaswolken, alles in braun-gelb, laut, überall wird ohne Unterlass gehupt, jedes Taxi hupt uns an. Es ist interessant, schlussfolgern wir, nicht unbedingt schön. Aber das haben Großstädte aus einer Radlerperspektive häufig an sich.
Farouq ist ein guter Host, belesen und nie wortkarg. Doch dann kommt der spannende Moment, in dem ich den betagten Herren bezüglich eines Termins bei einem Frauenarzt um Hilfe bitten muss (das Internet war hierbei leider nicht hilfreich). Er hat keine Ahnung, natürlich, aber er fragt seine Tochter. Dann ruft er am nächsten Morgen (Samstag startet quasi die neue Woche und Praxen sind wieder geöffnet) bei der erhaltenen Nummer an und vereinbart einen Termin für mich. Er fährt mit mir sogar noch zu der Adresse, damit ich später weiß, wo ich zwischen den vielen Klinikkomplexgebäuden hin muss. Dann verlassen wir ihn, er hat heute Termine. Eigentlich wollten wir auf den Jordan Bike Trail starten, doch die Abklärung hat Vorrang, und so ziehen wir noch eine Nacht in ein Hotel weiter. Wir nutzen die Gelegenheit, Fadi kennen zu lernen. Er schrieb über warmshowers, er könne zwar gerade nicht hosten, aber einen Kaffee können wir gerne zusammen trinken. Und genau das tun wir. Er kann uns viele Tipps zum Radfahren im Land geben, lässt sich nicht davon abbringen, uns eine Mahlzeit zu besorgen und uns seiner WG vorzustellen. Alle drei Bewohner sind so unglaublich sympathische und angenehme Leute und sich einig, dass wir sie unbedingt wieder besuchen müssen und bei ihnen wohnen müssen, wenn wir vom Jordan Trail in drei Wochen zurück sind!
Nun aber zum Arzt. Ich gehe allein, ist es in einem arabischen Land doch sicher eher unüblich, dass ein Mann seine Frau in eine Frauenarztpraxis begleitet (ganz falsch, wird sich später herausstellen). Ich erkläre mein Anliegen und die Ärztin rät in der sehr westlichen und modernen Praxis zu einem Ultraschall. Sie ist überrascht, ein Ausruf des Schreckens entfährt ihr, als sie dann zu mir sagt: „Oh, 5. Monat! Haben Sie denn nichts gemerkt, keine Beschwerden? Und man sieht es ja auch schon ein wenig“. Ich bin überrascht und antworte: „Nein, nichts gemerkt, keinen Beschwerden. Die Türkei hat gutes Essen, ich dachte eben, ich habe davon was angesetzt.“ Dann gibt’s noch ein Blutbild und ein paar Vitamintabletten (alles europäischer Standard) und ich kehre nach Hause zurück. Wieder viel Gehupe. Till ist froh, dass sich der Krankheitsverdacht nicht bestätigt hat (nur in Deutschland wird eine Schwangerschaft wie eine Krankheit behandelt). Wir müssen tendenziell umplanen, aber nun sind wir einmal hier, haben die 85 € für den Jordanpass gezahlt und wollen nun auch auf den Jordan Trail, dann sehen wir weiter.
Wir starten ab Irbid im Norden des Landes, wo wir mit dem Bus hinkommen, um dem Chaosverkehr aus der Hauptstadt zu entgehen. Allein die 15 km zum Trail zeigen uns bereits eindrucksvoll, was vor uns liegt: steile Wege ziehen sich durch die karge, felsige Steinwüste, die durchschnittliche Steigung von 21% auf Schotterwegen bei 38°C macht sogar das Schieben der bepackten Räder zur Herausforderung. Immer wieder rutschen die Füße auf der Steile und den Steinen ab. Till schiebt erst sein Fahrrad hinauf, kommt dann zurück und schiebt meins. Ich habe schon Schmerzen im Fußspann, nur vom Bergauflaufen.
Doch trotz der Anstrengung ist es eine tolle Erfahrung, die Leute sind so unglaublich freundlich! Es ist unser erster Besuch eines arabischen Landes, und die Gastfreundschaft ist unglaublich. Ein etwa 12jähriger Junge im Auto (?!) bringt uns eine kalte Flasche Wasser, immer wieder werden wir gefragt, ob wir Hilfe brauchen und zum Kaffee oder zum Essen eingeladen. Einer Einladung von Ahmad und seiner Mutter folgen wir zum Kaffee, der eine Einladung zur Übernachtung folgt. Wir müssen mehrfach erklären, dass wir noch viel von dem Trail und dem Land sehen wollen und deshalb weiterfahren müssen (es ist erst Mittag), bis er uns schweren Herzens zum Abschied winkt.
Wir passieren gelbe, stachelige Pflanzen, Ziegen- und Schafhirten mit Eseln (man fragt sich wirklich, wie die Tiere davon leben können), die in Zelten leben, bevor wir von 1000 Metern Höhe auf -220 m abfahren. Im Tal wird Obst angebaut, es grünt von Oliven, Feigen, Granatäpfeln, gleich ein ganz anderer Anblick. Es gibt wenig Verkehr auf den kleinen Straßen, doch die Autos, die uns begegnen, ziehen stinkende, schwarze Wolken hinter sich her. Dann geht es auch schon wieder rauf. 1200 m Aufstieg liegen vor uns, von denen wir noch ein wenig an diesem Tag bewältigen. Schieben, um genau zu sein; es ist erneut sehr steil, es ist anspruchsvoll, es ist wunderschön. Die Sonne lässt ihr goldenes Licht übers Land streifen und färbt den Himmel dann in allen Rottönen. Wir schlagen unser Zelt auf einem Stoppelfeld auf. Während nachts Männerstimmen und laute Musik aus Autolautsprechern zu hören ist, kommen mir doch komische Gedanken. Ist es verantwortungslos in der 20. Schwangerschaftswoche in die Wüste zu fahren?
Am nächsten Morgen haben wir gerade rechtzeitig eingepackt und den kleinen Skorpion von der Zeltmatte geschüttelt, als die Glocken der Schafe ankündigen, dass diese nun hier die Stoppeln abgrasen wollen. Die Ziegenhirten sprechen hier die gleiche Ziegensprache, wie die türkischen Kollegen: Schreie, Schnalzer und Raben-Aah-aah-Laute, es ist beeindruckend, wie gut das die Tiere verstehen und folgen. Wir schieben und fahren weiter. Zum Frühstück haben wir es bereits auf 500 m geschafft, am Mittag sind wir auf knapp 900 m aufgestiegen – ganze 15 Kilometer bis hierher. Bei einem Bäcker wollen wir Brot kaufen. „Zwei Mal von dem dünnen, flachen Fladenbrot bitte!“ Der Bäcker, der direkt aus der Backstube heraus verkauft und man sehen kann, wie die Fladen in den Ofen geschoben und herausgenommen werden, packt mir von dem warmen Gebäck in eine Tüte. Ich frage ihn nach dem Preis, doch er schüttelte mit dem Kopf. Ich halte ihm eine Hand mit Münzen hin, vielleicht fällt es ihm schwer, mir den Betrag mitzuteilen und bedeute ihm, die entsprechenden Münzen zu nehmen. Doch er winkt weiter ab. „Welcome to Jordan!“ Zusätzlich wollen wir noch ein Falafelsandwich (günstig, immer frisch und so lecker, ich bin im Paradies!) nebenan für den kleinen Hunger zwischendurch. Ich bekomme zunächst ein paar frische Bällchen zum Snacken auf die Hand, dann die zwei Rollen überreicht. Auch hier lässt mich der Besitzer nichts für die zwei Brote zahlen! „Welcome to Jordan!“
Till ist heute nicht fit. Auch die Falafelsandwiches hauchen ihm nicht genügend Energie ein. Ich bekomme einen riesigen Schrecken, als es hinter mir einen großen Kracher gibt. In einem Anflug von Schwäche ist ihm das Rad aus den Händen geglitten und gefallen, zum Glück nur das Rad und nicht er mit! Ein Teil des Lenkers ist abgebrochen, er kann es aber mit einem Stück Rohr vom Straßenrand reparieren. Zeit für eine Pause mit Hummus und Brot. Ein Mann bringt uns Wasser, weitere laden uns zu Tee und Abendessen ein, doch wir lehnen ab und wollen uns gerade nur ausruhen, um die verbleibenden 300 Höhenmeter am Nachmittag bewältigen zu können. Dann erreichen wir den Aljouner Wald. Es ist ein besonderer Wegabschnitt mit den Bäumen, die Menschen lieben ihn, viele kommen zum Picknicken hier her. Und wir haben diese Gegend für unser Nachtlager auserkoren. Doch es ist traurig: alles ist total zugemüllt. Es ist schwer einen Platz für das Zelt zwischen all den liegengelassenen Verpackungen zu finden. Die Menschen sind Schweine. Wir suchen eine Weile nach der am wenigsten verschmutzten Stelle unter den Bäumen und scheuchen ein paar streunende Hunde hinfort. Die Nacht ist ruhig, wieder gehen mir Fragen durch den Kopf. Was, wenn ich vom Skorpion gestochen werde? Von einem Hund oder einer Schlange gebissen? Gibt es Probleme mit den dann notwendigen Arzneimitteln? Immer wenn an einem Tag einer von uns beiden schwach war, war der andere bisher der Starke, der das Ruder in die Hand genommen hat. Was ist, wenn ich dieser nun nicht mehr bedenkenlos sein kann? Sonst mache ich mir darüber nie Gedanken, aber mit dem Untermieter…
Am nächsten Tag fahren wir nach Jerash, um uns die alten Ruinen der antiken Stadt anzusehen. Wir beschließen, zwei Tage hier zu rasten. Es sind mehr die Köpfe, als die Körper, die Ruhe brauchen. Es sind nur 18 km bis dorthin und es geht die allermeiste Zeit abwärts (wohl mit dem Wissen, dass wir vieles davon auf dem Weg zurück auf den Trail wieder hinauf müssen). Die Fahrt wird von einer Zwangspause unterbrochen, nachdem ich meinen ersten echten Platten habe! Diesmal besteht kein Zweifel, als ich über etwas fahre, das ein großes Loch in den Mantel schneidet. Ich hatte ein bisschen Angst vor einem großen Loch bei tubeless Reifen bergab, doch es ist genauso, wie wenn man mit einem Schlauchsystem über einen Nagel fährt. Nun kann (oder muss?) Till das erste Mal das Reparaturset einsetzen. Also, die Plastelinawurst in das Loch gesteckt, gleich noch eine, den Rest macht die Dichtmilch. Fertig. Einfacher als gedacht. Im Mantel klappert es jetzt, irgendwann werden wir heraus bekommen, was das Loch einmal verursacht hat 🙂
Während Till am Straßenrand zwischen viel Stinkegasen das Loch repariert (neben einer Schule, wir sind das Highlight des Tages 😉 ), besorge ich etwas Obst. Wieder lässt mich der Händler nicht zahlen. Später beim Falafelsandwich und beim Bäcker das Gleiche: Nein, es ist ein Geschenk „Welcome to Jordan!“ Till beobachtet und bestätigt, dass der Verkäufer auch nach vielen Anläufen meinerseits die Zahlung ablehnt und ich einfach keine Chance zum Zahlen habe. Es ist auch kein Verständigungsproblem. Die meisten Leute sprechen sehr gutes Englisch, auch auf den Dörfern werden wenigstens ein paar Brocken Englisch beherrscht. Viele Menschen wollen uns unbedingt grüßen und willkommen heißen, so manch einer presst sich ein paar englische Worte aus den letzten Hirnwindungen. Einmal ruft uns einer nach Hirnrattern entgegen: „You are good!“ Es ist so süß. 🙂
Nach der Rast und dem Aufstieg um 500 m zurück auf den Trail fahren wir erneut 1000 Höhenmeter abwärts, erneut unter Null. Es gibt viele Temposchwellen, ohne warnende Markierung, und es schüttelt uns ganz ordentlich durch, besonders abwärts. Wir rasten im Wadi Hunah und schieben anschließend den Berg wieder hinauf. Das bedeutet, Till schiebt beide Räder die steilen Stücke (und davon gibt es viele). Als am Abend gerade die Sonne hinter den hohen Bergen verschwindet, verspüre ich sowas wie Seitenstechen oder Muskelkater, Krämpfe oder ein rhythmisches Pochen. Obwohl gerade jetzt eine gute Gelegenheit wäre, ohne stechende Sonne im Schatten der Berge noch eine Stunde aufwärts zu kommen, entscheiden wir uns dazu, das Zelt bei der nächsten Gelegenheit aufzubauen. Ich lege mich gleich hin, Till kümmert sich liebevoll um alles und bereitet ein Abendessen zu. Das erste Mal muss ich zugeben: ich habe Angst.
Die Nacht ist ruhig und am folgenden Morgen geht es mir besser. (Dr. Google meint, das pulsierende Pochen ist wohl Schluckauf, das beruhigt) Nach weiteren steilen Stücken erreichen wir wieder Asphalt und 1200 Höhenmeter. Till schob oft beide Räder, ich laufe hinter ihm, sein T-Shirt ist am Rücken durchgeschwitzt. Zum Mittag reevaluieren wir die Situation: irgendwie fühlen wir uns beide nicht ganz wohl damit. Die Hitze, die anspruchsvollen Etappen, abgelegene Strecken. Ich fühle mich unwohl beim Einatmen der Abgase. Ich habe Sorge, bei jedem Ziehen, auch wenn ich den Untermieter mal zwei Stunden nicht spüre. Beide fühlen wir uns nicht ganz wohl und können die Fahrt so nicht zu 100 Prozent genießen und müssen uns eingestehen: die Angst fährt mit. Wir entscheiden, dass gerade nicht der richtige Zeitpunkt für den anspruchsvollsten Teil unserer Tour ist. Heute sind wir genau 4 Monate unterwegs und es soll zunächst unser letzter Radfahrtag sein.
Wir biegen vom Jordan Bike Trail ab und fahren nach Amman zurück. Fadi und seine WG nehmen uns herzlich bei sich auf. Den Süden des Landes, nach Petra, Wadi Rum und Akaba, bereisen wir mit dem Bus.
Es ist unerwartet und es fühlt sich zwar etwas schmerzlich an, doch auch richtig. Wir werden erst einmal pausieren, bis wir im kommenden Jahr zu dritt die Reise fortsetzen können. Liebe Mitreisende, bis dahin!
Hallo ihr Beiden.
Ich halte mich ja für phantasiebegabt, aber dass euer Abenteuer SO ausgehen würde,
damit hab‘ ich nicht gerechnet. Im Gegenteil!
Dass du, Janine auf der Reise schwanger wirst, hatte ich absolut für ausgeschlossen gehalten.
Nun, die Realität ist stärker als meine Phantasie, das muss ich eingestehen.
Ich wünsche Euch beiden alles Gute. Kommt erst einmal gesund wieder in der Heimat an, alles
Weitere wird sich finden.
Congratulations first. A real surprise, but a new lyfestyle with new ideas and opportunities which you will handle very good I am sure. I enjoyed reading your stories as always and we will see what the future brings. I wish you 3 a good health and hope to read or hear from you.Many greetings, Joost
Onkel Klaus
Freut euch doch einfach mal auf eine ganz neue Reise…