Während wir noch in Lissabon verweilen, blicken wir bereits im Geiste in Richtung Algarve. Wenn wir dort überwintern wollen, sollten wir so langsam einen Plan schmieden und zu buchen beginnen. Zunächst streben wir ein Appartement für die Feiertage an, danach wollen wir etwas Helpex ausprobieren. Zwischen Weihnachten und Dreikönigstag gibt es anscheinend eine Zwischensaison und die Preise gehen bereits in die Höhe. Grob geschätzt sind es 350 Kilometer – aus Erfahrung wissen wir, dass wir das in zwei Wochen schaffen. Aus Erfahrung wissen wir aber auch, dass uns das Wetter einen kräftigen Strich durch die Rechnung machen kann. Wir haben es 6000 km bis Portugal nur per Fahrrad geschafft, nun wollen wir auf dem finalen Stück keinesfalls in einen Zug steigen. Doch mit mehr Puffer wollen wir nicht planen, denn am 13.12. ist Davids Geburtstag und ich habe schon den Kuchen vor Augen, den ich ihm zum Kosten und Matschen backen möchte. Bis zum 12.12. müssen wir also an der Südküste sein. Till findet ein passendes Apartment und der Plan steht: in zwei Wochen an die Algarve.
Die Fahrt beginnt in Lissabon mit einer Fährfahrt über den Rio Tejo. Das Baby ist an diesem Morgen extrazeitig wach. Erst hoffe ich, er schläft noch einmal ein, aber Fehlanzeige. Um 07:00 stehen wir auf, packen zusammen und wuchten dann alle unsere Sachen das enge Treppenhaus möglichst leise (alle anderen Gäste des Hostels schlafen noch) wieder herunter. Zur Fähre sind es nur 3 Kilometer, doch da David so früh wach war, befürchte ich, dass er währenddessen einschläft, während der Überfahrt schläft und dann pünktlich, wenn wir zu radeln beginnen könnten, putzmunter ist und herumlaufen (es ist so süß, wie er sich freut, dass er das nun kann) möchte. Also: Baby irgendwie wachhalten! An jeder Ampel erzähle ich ihm etwas, fahre neben den Hänger und rufe Tierstimmen hinein, damit er nicht einschläft. Die Augen werden immer kleiner. An der Fähre angekommen öffnen wir schnell das Verdeck zu seiner Kabine: noch ist er wach. Gut! 😃 „Hallo Baby! Guck mal, was es hier Spannendes gibt“
Die Fähre benötigt 20 Minuten zum anderen Ufer des Rio Tejo. Mein Kleiner hat schon rote Augen, aber bleibt brav wach. Auf der Halbinsel Setúbal angekommen geht es für ihn zurück in seinen Hänger und dort hat er endlich die Möglichkeit zu schlafen – und wir können die folgenden 1,5 Stunden zum Fahren nutzen. Barreiro hat viel Verkehr, durch den wir hindurch steuern. Als wir die Vororte erreichen, werden die Straßen ruhiger, aber es wird nicht leise, denn jedes Grundstück hat einen bellenden Hund im Vorgarten. Die vielen Kothaufen auf den Pflastersteinen lassen vermuten, dass diese Höfe das Einzige sind, was die Tiere über den ganzen Tag hinweg sehen. So gesehen sind wir wohl ihr Highlight des Tages. Unser reiseerprobtes Baby lässt sich von Hunden und Haufen nicht stören und schlummert selig.
Unser Tageshighlight an diesem 1. Advent sind ein paar Lebkuchen, die wir zur Mittagspause bei Lidl entdecken. Ein Aufstieg zum höchsten Punkt von Palmela liegt gerade hinter uns, da gibt der süße Zahn beim Einkaufen die Shopping-Anweisungen 😅 Mit den vollen Mägen können wir danach auch nur noch bergab rollen, zum Glück liegt Setúbal im Tal und nicht weit entfernt. Mit knapp 40 Kilometern liegen wir gut im Tagessoll und sind zufrieden, als wir in das kleine Apartment einchecken. Hier gibt es keinen Esstisch und wir essen an dem niedrigen Couchtisch zu Abend. Alle sitzen am Boden, David dippt seine Gurke reihum auf jeden Teller und hat sichtlich Freude an der neuen Esskultur 😅
Nach dem Frühstück (hier geht’s von einer Mahlzeit zur nächsten, was? 😜) satteln wir schnell die Pferde, schieben unsere bepackten Rösser über die Straße und rauf auf die nächste Fähre. Sie befördert uns diesmal über den Rio Sado auf die Halbinsel Tróia, eine lange Landzunge, die die breite Flussmündung vom Atlantik trennt. Wir folgen einer ruhigen Straße durch ein Naturschutzgebiet, durch Dünen und Sand. Die Störche und ihr Klappern sehen und hören wir überall auf den 40 Kilometern, die wir auf der flachen Etappe schaffen.
Die Vegetation ändert sich, Kakteen, wie in Mexiko, Aloepflanzen, Mandarinen-, Orangen-, und Zitronenbäume werden bald von Korkeichen abgelöst. Auf 30 km in Richtung Sines passieren wir ganze Wälder von Korkeichen. Das wäre so toll zum Wildcampen, aber das passt derzeit nicht zu uns. Und bei den Nächten bin ich gerade auch dankbar, dass ich im Dunklen zum Schuckeln nicht jedes Mal aus dem Zelt kriechen muss. Das Baby hat Schnupfen und ist ständig wach, ständig reibt er sich Auge und Nase. Das Zähnchen ist doch durch? Was ist nur los?
Am folgenden Tag fahren wir an der Küste entlang, mit Felsformationen wie an der ‚Great Ocean Road‘ in Australien. Wieder sind Surfer im Wasser, warten da auf die perfekte Welle und hängen solange als schwarze Punkte im Ozean rum. Wir fahren langsam, da wir wegen Regen nur 15 km zu einem Campingplatz mit kleinem Chalet anvisiert haben. Wir liegen sehr gut im Algarve-Soll, da können wir ohne Bedenken einen kurzen Tag einschieben. Auf guter Straße haben wir die Etappe schnell hinter uns und können bereits 10:45 einchecken. Es ist perfekt für uns: Als wir ankommen, ist es noch schön und wir können eine halbe Stunde auf dem Spielplatz spielen, kurz darauf fängt es an zu regnen – alles richtig gemacht. In unserer Hütte gibt es einen großen Wohn-/ Schlaf-/ Essraum (all in one) mit Kamin samt Feuerholz. Wir schieben alles zur Seite, so ist Platz zum Laufen, und sogar die Räder und den Hänger können wir regensicher drin unterkriegen. Es ist so gemütlich, wir schlafen vorm ausgehenden Feuer ein. Könnte es besser sein? Nun, ich mache mir Sorgen um Davids Auge, er reibt oft und das Lied ist rot und geschwollen, nun schon einige Tage.
Am Morgen ist das Auge ganz zugeklebt und er bekommt es gar nicht auf! Bin ich froh, dass es Telefon und ein kinderkrankheitenerfahrenes Schwesterherz am anderen Ende gibt. Ein Gespräch später steht fest: das ist eine Bindehautentzündung und er benötigt Ofloxacin-Augentropfen. Wühle, wühle in unserer Afrikaausstattung der Reiseapotheke – et voila! Ich danke Gott! So bleibt uns vorerst der Arztbesuch erspart, und die Therapie kann sofort starten.
Zwei Tage lang fahren wir durch viele Felder und Gewächshausplantagen, auf denen im Dezember eben noch ausgesät/gesteckt wird. Wir können 80 km abreißen. Unsere Route bis Odeceixe ist eine typische Komoot-Route, viel Gerüttel off-road, Zickzack, bergauf und -ab. Tills Hände leiden unter der Anstrengung der Fahrt, doch eine Aufmunterung haben wir: ab hier beginnt offiziell die Algarve. Wir rasten an einem Spielplatz, neben dem Kühe weiden und ein Kätzchen zu uns herüber geschlichen kommt. „Muh, muh und Miau!“ David gefällt das. Dass sein Auge noch immer so geschwollen ist und tränt, gefällt mir hingegen gar nicht.
Nach der Pause schieben wir die Räder durch schmale Straßen der kleinen Stadt aus dem Tal heraus. Pinienwälder und remote gelegenen Farmen geleiten uns auf ruhigen Wegen zu einem Farmstay. Hier gibt es Süßkartoffeln aus dem Garten (lecker, leider isst David wieder nichts, seit er erkältet ist), und Hühner, die im Baum leben.
In Aljezur leben Victor und Ana. Sie haben ein Zimmer, das wir heute Nacht beziehen. Obwohl Aljezur nur 10 km entfernt liegt, hoffen wir auf gutes Timing der Fahrt, sowie Ankunft, bevor der Regen einsetzt. Wir hatten Ana geschrieben, dass wir ab Mittag in der Stadt sind und dankbar wären, wenn wir schon ein bisschen früher einchecken könnten (Check-in eigentlich 16:00 Uhr). 12:30 Uhr schreibt sie, das Zimmer ist fertig und wir können kommen. Wir sind gerade in die Stadt hereingefahren, es passt perfekt. Es gilt nur noch einen letzten Anstieg zu bewältigen. Der hat es aber in sich! Wir schieben und pusten, das Baby schläft und bekommt von all der Anstrengung nichts mit. Als wir gerade ankommen, setzt ein heftiger, langanhaltender Regen ein. Danke, Ana, das rettet uns vor einer ordentlichen Dusche. Über den gesamten Nachmittag sehen wir den Regen ans Fenster prasseln. Doch es trübt nicht den einzigartigen Blick, den man von hieraus hat. Auch Davids Auge ist besser und er kann mit uns die Aussicht bewundern: zu einer Seite die Berge, zur anderen die Burg, dahinter der Ozean (der rauscht beängstigend in der Ferne) hat. Es ist gigantisch.
Weiter in Richtung südlicher Ozean verlassen wir Aljezur mit einem langsamen stetigen Aufstieg bei Sonnenschein. Es ist Regen gemeldet, daher drücken wir auf die Tube. Wir wollen 25 km und den gesamten Anstieg bereits mit einer Etappe bewältigt haben. Allmählich schlängeln wir uns zwischen Pinien empor. Bis Bensafrim ist es für uns eigentlich zu weit, doch ohne Dach überm Kopf drei Stunden Pause im Regen zu machen ist auch keine attraktive Option. Als der höchste Punkt einmal überschritten ist und es nur noch bergab rollt, fliegen die Kilometer an uns vorbei. Dann müssen wir uns beeilen, dicke Wolken kommen gezogen und es fängt schon an zu tröpfeln, als wir am Kreisverkehr in den winzigen Ort abbiegen. Er hat ein kleines Café am Dorfplatz, wir können draußen unter einer Markise sitzen und alles erkundeln.
Zum Glück bleibt der große zunächst Regen aus, so ist auch Gelegenheit zum Herumlaufen. Als es Zeit zum Weiterfahren ist, beginnt es erneut zu tröpfeln. Wir fahren in Regen-outfits und es ist ok, dass es auf den letzten 10 Kilometern leicht regnet, denke ich. David sitzt trocken und geschützt in seiner Kabine und macht sein Schläfchen. Der Regen wird stärker und mit dem Erreichen des Ortseinganges von Lagos schüttet es wie aus Eimern. Pitschnass aber zufrieden kommen wir am Guesthouse an. Hier treffen wir auf eine Frau mit zehnjähriger Tochter, bei deren Buchung wohl was schiefgegangen ist und die nun in ein anderes Hotel umziehen muss. Die Kleine nimmt es mit Humor und spielt mit David, während sie auf das Taxi warten. Uns bleibt ein solches Durcheinander zum Glück erspart, unser Check-in mit Schlüsselbox an der Tür läuft problemlos. Unser einziges Problem wird nun sein, die nassen Sachen wieder trocken zu bekommen. Hier an der Küste ist das keine Kleinigkeit, alles ist immer feucht (Klopapier, Handtücher, Fenster) und Wäsche selbst bei Sonne zu trocknen, dauert Tage.
Wir machen einen Tag Regenpause. Nur gut, wir haben eine Klimaanlage, vor die wir die Wäsche im Heizmodus hängen können. Damit bekommen wir das Zeug zwar trocken, aber geruchlich hat das mit frischer Wäsche nichts zu tun 🙈Die Pause können wir uns locker erlauben, schließlich haben wir die Südküste nun erreicht. In Lissabon hatten wir noch Angst, es nicht bis zum 12.12. zu unserem Apartment zu schaffen. Nun haben wir noch eine Woche für die verbleibenden 77 km – eine Distanz, die wir in zwei Tagen fahren können. Was die Geburtstagsmotivation für das Baby doch ausmacht.
Am Morgen, als wir Lagos Richtung Osten verlassen, ist es nebelig, doch hinter dem Schleier kann man die Sonne bereits erahnen. Wir fahren entlang Nebenstraßen Richtung Portimão. Es ist herrlich in dem flachen Tal, an dessen Rand man die Autobahn sieht. Nächste Kreuzung, wir biegen Richtung Bundesstraße ab – das Aus der ruhigen und entspannten Fahrt durch grüne Wiesen mit gelben Blumen. Aber die Bundesstraße hat einen Seitenstreifen und so können wir wenigstens von den 42 km heute gut was abarbeiten. Weitere fünf Tage müssen wir wegen Regen rasten, da ist es doch mit unserem Puffer wie ausgemacht.
Die letzten Kilometer geht es entlang der gelben Steinküste und spannender Felsformationen nach Falesia beach. Der kleine Ort dahinter ist wie ausgestorben, alle Läden haben geschlossen, keine Menschen, keine Spielplätze. Auch wenn wir zum nächsten Aldi 10 Kilometer radeln müssen: mir gefällt es so. Besser als überlaufene Touri-hochburg.
Dann ist der Moment gekommen und wir können unser Feiertagsquartier im Geisterdorf beziehen. Der erste Blick ist: ernüchternd. Was Photoshop doch möglich macht. Man kann nicht leugnen, dass es die Unterkunft, die auf den satt strahlenden Bildern zu sehen war, ist. Doch alles ist sehr abgewohnt, als wären Möbel und Utensilien aus ein paar Haushaltsauflösungen zusammengeschachtelt. Doch es ist in Ordnung, da muss man wenigstens beim Spielen keine Angst haben, irgendwo Schrammen zu hinterlassen. Dann der Blick in die ebenso zusammengewürfelte Küche und deren Ausstattung: es gibt keinen Herd – das ist das Aus für den Geburtstagskuchen 😭
Am nächsten Tag ist mein Baby 1 Jahr alt! Ich bin schon seit gestern ganz rührselig. Wir feiern mit einer Kerze in einem trockenen Stück Brot (David will nicht, dass ich was drauf mache) und einer Schüssel Himbeercreme auf Heidelbeeren – quasi der Kuchen ohne den Kuchen. Ganz ehrlich: es geht doch eh um das Verschmieren der Creme als um den Boden. Das Wichtigste ist also da. Doch David verschmäht sie, will nicht einmal kosten. Na das wäre mit dem Kuchen ja dann auch nicht besser gewesen, was? Zum Glück gab es keinen Herd 😜
Nach dem Geburtstagsfrühstück machen wir uns auf zum Strand. Es hat 16°C, in der Sonne fühlt es sich viel wärmer an und David steckt die Füße in den Sand. Er liebt nackte Füße und das Gefühl von Sand zwischen den Zehen (er muss ihn da ja auch später nicht wieder raus puhlen). Zielstrebig steuert er auf das Wasser zu. Wir krempeln die Hosenbeine hoch, dann kommt auch schon die erste Welle und spritzt uns kaltes Wasser entgegen. Ich denke, jetzt schreit er gleich – nix. Er jauchzt vor Freude und irgendwann muss ich das Spiel abbrechen, damit er sich nicht erkältet. Jetzt schreit er 😅 Mit den Sandförmchen ist er schnell wieder happy. Wenn auch abgewohnt, geisterhaft und von Einkaufsmöglichkeiten abgeschnitten: genau hier wollen wir sein.
Ach herrlich wie da Erinnerungen hochkommen! Merkwürdig, dass ich ausgerechnet den Rio Tejo und die Strände bei Lissabon mit meinem schlimmsten Hundeerlebnis verbinde.
Ach und den getrockneten Bacalhau. Diese Stände riecht man immer schon in 20 Meter Entfernung. Daraus werden doch diese herrlichen Fischbällchen gemacht. Kriegt man mit frischem Fisch nie so hin.
Kusprige Stockfischbällchen
Lecker!
Auf DIE Hundegeschichte bin ich nun aber gespannt 😉