Die Uhr zeigt genau 07:00 als die gepackten Taschen an unseren Rädern einrasten. Es ist niemand da, so lassen wir den Schlüssel an der Zimmertür in Budva, Montenegro, stecken, ich schreibe der ‚Rezeption‘ diese Tatsache als Nachricht und dann schwingen wir uns auf die gesattelten Esel. Durch den frühen Start können wir die ersten Hügel noch mit etwas Schatten hinter uns bringen. Unser Zielort fürs Frühstück ist ambitioniert: 37 km bis zur Stadt Bar auf der Hauptstraße. Doch es locken kalte Milch und Joghurt aus einem Supermarkt, und das spornt uns an. Resultat: Pünktlich 10:00 fahren wir auf einen Supermarktparkplatz kurz hinter der Stadtgrenze ein und beladen uns mit den erträumten Leckerbissen. Vor Hunger bin ich schon ganz unleidlich, doch unter einem Baum auf einem Mäuerchen am Strand sitzend, die Schüssel mit Joghurt und Cornflakes in der Hand, steigt die Stimmung schnell wieder.
Danach führt uns eine Nebenstraße von der Küste weg und erneut 200 Höhenmeter nach oben, durch kleine Dörfer, Olivenhaine und entlang von Weinreben. Es ist heiß, aber die Szenerie malerisch. Ich denke in dem Moment, wir hätten die Hauptstraße schon viel früher verlassen sollen, aber nun genießen wir wenigstens diese Straße, die auch einen Blick auf die Küste gewährt und den Titel ‚scenic route‘ in meinen Augen viel eher verdient als die verkehrsbeladene Hauptstraße. Nach dem Aufstieg folgt eine lange und nicht zu steile Abfahrt, weiter über Dörfer landeinwärts. Ich liebe es. Sie bringt uns am Mittag an die albanische Grenze. Gleich winkt uns ein Beamter aus der Schlange zum Fußgängerübergang am Rande, hier geht es ganz schnell: der Beamte aus Montenegro reicht unsere Pässe nach der Ausreise gleich zum Kollegen der albanischen Seite, kurzer Blick und wir sind drin.
Wir sind freudig entzückt von der schnellen und problemlosen Einreise, wollen aber zunächst in der Mittagshitze gar nicht lange weiterfahren. Beim nächsten Minimarkt bewaffnen wir uns mit ein paar Nektarinen, einer riesigen kalten Limonade und an einem Eis kann ich auch nicht vorüber gehen. Hey, es hat weit mehr als 30°C im Schatten, wisst ihr, wie laut es mich aus der Kühltruhe heraus angeschrien hat? Die Währung hier ist Lek, doch Euro werden überall akzeptiert, dem Eisverzehr steht nichts im Wege 🙂
Während einer langen Rast am Feldrand kann ich die für 14:00 angekündigte Änderung der Windrichtung spüren. Die verbleibenden 15 km nach Shkoder rollen sich nun ganz leicht in die Stadt und zur Adresse, die ich auf maps.me markiert habe. Wir haben ein Hostel gebucht, wollen uns die Stadt ansehen und einen Tag pausieren. Doch an der Zieladresse ist kein Hostel zu sehen. Wir laufen die Straße auf und ab, eine Frau sieht unsere suchenden Blicke und winkt mir zu, ihr zu folgen. Sie steuert auf eine kleine Eisentür in einer Mauer zu. Die Hintertür ohne Beschriftung führt in einen Hinterhof, fröhlich schiebt sie mich hinein und verschwindet. Gleich kommen zwei gut gelaunte junge Männer auf mich zu, begrüßen mich und bestätigen auf meine Nachfrage, dass dies das Hostel ist. Der Hintereingang sei zum Parken der Räder auch gleich der richtige. Wow, das hat die alte Dame aber gut überblickt. Ich bin beeindruckt. Zu unserer Verteidigung muss ich noch hinzufügen, dass auch der Haupteingang nicht wesentlich besser beschriftet gewesen wäre. Aber solange man eine aufmerksame und hilfsbereite Nachbarschaft hat, ist dies wohl auch nicht nötig 🙂
Das Hostel ist gemütlich, alle sind unbekümmert und überaus freundlich (auf unsere Nachfrage zum Masketragen wird uns berichtet: ‚Corona gibt es hier nicht‘). Für 12,50 € für uns beide pro Nacht im 6-Mann-Zimmer inkl. Frühstück (ein Burek mit Käse als authentischer Teil und ein Schokocroissant als Allrounder, dazu Kaffeeflatrate) ein echtes Schnäppchen. So wundert es auch nicht, dass das Hostel ausgebucht ist. Überhaupt lebt die Stadt sehr vom Tourismus, sie wirkt modern, überall Guesthouses, Cafés, Kneipen und Bars mit Flatscreens für die Übertragung der Fußball-EM (es spielt Deutschland gegen Portugal und Deutschland gewinnt 4:2, obwohl die Portugiesen 4 Tore geschossen haben und die Deutschen nur 2 (zwei Eigentore) und bevor Fragen aufkommen: nein, ich habe es nicht geschaut, das ist die Kurzzusammenfassung, die mir mein Mann am Ende des Tages liefert. Wenn ihr ihn fragt, wird er euch sagen, er hat es auch nicht geschaut, ist nur alle zwei Minuten zum Fernseher am Nachbartische gelaufen 😉 ). Wir suchen ein angeblich authentisches Restaurant, das uns empfohlen wurde. Die Speisekarte weist Pizza, Pasta, Risotto aus. Hm. Authentisches Essen? Da sehr viele Albaner einmal in Italien gearbeitet haben, ist der Einfluss wohl aus der heutigen Küche schwer wegzudenken. Und da authentisch und fleischlos ohnehin schwer kombinierbar ist, bleiben wir, enden mit Gemüserisotto und sind auch damit an diesem Abend glücklich.
Auf dem Rückweg wirkt die Nachtstimmung der Stadt auf uns. Der süße Blütenduft kommt nun noch mehr zur Geltung als bei Tag. Von einer Dachterrasse schallt Diskomusik über die Kirchen und Moscheen der Stadt. Verschiedene Religionen leben hier friedlich nebeneinander. So sind auch wir tolerant den lauten Touristen gegenüber.
Nach einem Tag, den wir im Hostelhof vor dem Computer verbringen, und zwei Nächten mit mindestens 1-2 lauten Mitbewohnern und Streit darum, ob die Klimaanlage an oder aus bleibt, freuen wir uns doch darauf, uns wieder auf die Sättel schwingen zu können und auch auf unser Zelt. Zwischen Relaxen, Video-sortieren und dem anhaltenden zähen Versuch, mit Rotor in Kontakt zu treten, haben wir beim Routenplanen glücklicherweise rechtzeitig am Höhenprofil erkannt, dass es zur Route, die uns Komoot hier geplant hat, keine Straße gibt. Auf meiner Karte findet sich nur ein Wanderweg, durch die felsige Landschaft und mit ordentlich Höhenmetern, der bald endet. Daher sind wir froh, dass wir das vor dem Antritt gesehen und nun für den Abschnitt eine Fährfahrt einplanen. Bei leichter Bewölkung starten wir euphorisch in den Tag. Nun lernen wir das richtige Albanien in den Dörfern kennen: die Menschen winken uns freundlich zu, die Autos hupen uns ermuntern zu, beim Obsthändler schreibt mir der Verkäufer den Preis auf, damit ich es verstehe, der Bäckersmann kommuniziert mir den Preis, indem er die nötigen Münzen aus seiner Kasse auf den Tisch legt, nachdem er all seine Auswahl vor mir ausgebreitet hat, damit ich einen guten Überblick habe (alles helles Brot, ich entscheide mich für ein flaches, rundes – das lässt sich gut auf eine unserer Taschen spannen und es wird uns sehr gut schmecken). Alles sehr nette Menschen. Kaffeetrinken ist im Land wichtig, an jeder Ecke gibt es Cafés, und ‚Lawazh‘ – die Autowaschstation (vielleicht noch aus der Zeit, in der viele Albaner bei Mercedes in Stuttgart gearbeitet haben und die Mitarbeitermodelle bis heute fahren).
Der Weg durch die Dörfer führt uns zum Komani-See, einem aufgestauten Teil der Flüsse Drin, Valbona und Shala in der Drinschlucht. Entlang des fruchtbaren Tales sehen wir Kiwiplantagen, Tabakfelder, Wein. Der Teil des Weges ist in unserem Routingprogramm als „Anti-highlight und nicht befahrbar“ bewertet worden. Aber von einem Rennradfahrer; und wir haben doch die ‚Afrika-Ausstattung‘. 😉 Trotzdem sind wir gespannt, was uns erwartet. Der Weg entlang des Sees windet sich in vielen engen Kurven auf und nieder direkt am Fels entlang, der den See begrenzt. Er hat viele Schlaglöcher und ist nur teilweise Asphalt, aber für uns ist er fahrbar, bietet einen tollen Blick auf den See und wir möchten die Erfahrung nicht missen. Es zwingt einen zum Langsamfahren und Genießen, das hat auch etwas für sich.
An einem Brunnen treffen wir Mike-bike (https://www.facebook.com/michele.diomeda) Er ist ebenfalls mit seinem Rad hier unterwegs, zusätzlich mit einem Rucksack, in dem er sein Kajak trägt: er war hier zum Bike-Rafting. An einem passenden Platz lässt er sein Kajak ins Wasser, Fahrrad wird zusammengeklappt und kommt mit aufs Boot, wenn er wieder anlegt, kommt das Kajak zurück in den Rucksack und es geht mit dem Rad weiter. Irre. Er ist in die Gegenrichtung unterwegs, so ist unser Plausch nur kurz, bevor jeder seinen Weg fortsetzt.
Für uns geht es weiter bis nach Koman, wo wir hinter einem Restaurant mit ‚Hotel‘ (=Zimmer unter der Brücke errichtet) unser Zelt aufschlagen: die sanitären Einrichtungen sind sehr rustikal, aber drei Euro pro Person ist ein fairer Preis. Leider stellen wir an dem Nachmittag fest, dass wir unser Hinternpapier im Hostel verloren haben müssen (einer der Artikel mit ‚H‘, daher von heute an Hinternpapier) und es just auf der Toilette eben kein Hinternpapier gibt. Zeit, die Hinterndusche herauszuholen 😉
Wir schätzen unseren ‚freien‘ Nachmittag im Garten des Restaurants, bevor es am folgenden Morgen auf die Fähre geht. So essen wir hier unser Brot und Käse, bestellen uns noch einen authentischen Salat aus Gurken und Tomaten dazu, und gönnen uns im Anschluss einen albanischen Kaffee (=türkischer Kaffee), den uns eine gute Seele über den Unterstützung-button auf dieser Seite spendiert hat 🙂 Da hier wenig Wiese ist und ich keine Zeckenbisse zu befürchten habe, trage ich ausnahmsweise kurze Hosen. Vorerst das letzte Mal, denn irgendwas beißt mich die ganze Zeit in die Beine. Dann bauen wir unter Kiwiranken unser Moskitonetz auf und freuen uns auf die Fahrfährt am Morgen.
Doch dazu gilt es zunächst, einen 200-m-Aufstieg und einen 600 m langen Tunnel hinter uns zu bringen! Zeitig brechen wir auf, bevor die Kleinbusse die Touristen aus der Stadt hier ‚anliefern‘ (haben am Vortag im Hostel in Shkoder die Abfahrten beobachtet). Auch wenn die frühe Abfahrt für uns dann etwas Warten bedeutet, so haben wir damit doch gutgetan. Als wir schon auf dem Deck der Fähre stehen und die Räder unter uns parken, beobachten wir das wilde und unkoordinierte Treiben am Ladeplatz. Betankt werden die Fähren per Schwerkraft aus einem Faß, das auf einem Caddy am Kai steht (Fass mit 1000 Litern Diesel unbeschriftet). Durch den Tunnel kommen die Fahrzeuge natürlich nicht in der Reihenfolge an, wie sie auf die Fähre sollen. Platz zum Rangieren ist auf den wenigen Metern zwischen Tunnel und Schiff kaum. Im Tunnel stauen sich die Fahrzeuge, es ist zu eng als dass alle, die bereits angekommen sind, hier parken oder zurückfahren. Da es nicht vorwärts geht, wird im Tunnel kräftig gehupt (hilft, ist klar). Ein Auto versucht zum Teil auf dem sehr schmalen Bordstein fahrend den Rückweg. Alles wirkt sehr authentisch und wir sehen wie bei einem Film zu. Jeder Millimeter der Schiffe wird beladen und ausgenutzt. Als endlich alle Fahrzeuge und Personen aufgeladen sind, folgen weitere Fässer mit Benzin, Kartons mit Getränken und Lebensmitteln. Dinge, die wir unterwegs an einem Haus abladen werden.
Dann ist es, fast pünktlich, soweit: die 2,5-stündige Fahrt über den schmalen Komani See bis nach Fierze beginnt. Wir winden uns über dem See entlang der grün bewachsenen steilen Felsen. Ganz vereinzelt sehen wir ein Haus stehen. Sieht aus, als ob es nur von der Seeseite zugänglich ist. Wie all das Material (Dachziegel z.B.) mühsam herbei geschafft worden ist? Wie die Menschen ihren Alltag bestreiten? Und dann gibt es auch das ein oder andere verfallene Haus. Trotz des vielen Aufwands für die einstige Errichtung an so einem abgelegenen Ort. Ich frage mich, was passiert sein mag, welche Geschichte die Steine erzählen würden, könnten sie sprechen.
Am Mittag erreichen wir Fierze, einen Ort, der neben dem Anlegeplatz für die Fähre, einem Restaurant und ein paar Häusern kaum etwas vorzuweisen hat. Wir starten also bei der größten Hitze (38°C) unsere Fahrt an diesem Tag. Da kommt es uns ganz gelegen, dass wir unser verbleibendes albanischen Geld noch umsetzen müssen. Laut unsere Karte gibt es einen Minimarkt im letzten Dorf auf albanischer Seite. Wir finden ihn auch: er hat geschlossen. Oh nein! Müssen wir zurückfahren? Oben drüber gibt es ein Restaurant und Till geht dort fragen. Aus dem Kellner kann er trotz Sprachbarriere heraus bekommen, dass der Shop Mittagspause hat und in 15 Minuten wieder öffnet. Sehr gut! Dann überbrücken wir die Zeit doch mit einer kalten Limonade! 🙂
Der Mann soll Recht behalten, pünktlich kommt die Verkäuferin herbei und öffnet den Laden. Gleich drängen sich ein paar Einheimische hinein und machen vor, wie es geht: alle Artikel sind in Regalen an den Wänden des Geschäftes hinter einer Theke mit der Verkäuferin. Man ordert bei ihr, was man möchte und die Dame holt es von hinten an die Theke. An der Reihe kommt, wer sich am weitesten über die Theke beugt und am lautesten seine Bestellung ruft. Genau nicht meine Stärke; das kann ja heiter werden.
Ich schaffe es, mich nach vorn zu arbeiten, irgendwann bin ich dran (auch wenn ich keine Bestellung laut rufe, habe ich dann wohl lange genug da rum gestanden). Ich zeige also von Weitem auf Dinge und versuche die Namen vorzulesen. „Domino“ – der Name der Kekse. Alle Frauen um mich herum nehmen an dem Ratespiel teil. Jede, die verstanden zu haben scheint, was ich will, ruft der Verkäuferin das Wort entgegen. Dann alle nacheinander. „Domino“ „Domino“. Danach die Anzahl, die ich mit den Fingern zeige. Ich muss immer wieder stoppen und mir die bis dahin erreichte Summe ausrechnen lassen (Preis steht nicht dran oder ich sehe es nicht oder kann es nicht zuordnen) Entspricht noch nicht der Summe meines Restbudgets, also weiter mit dem Ratespiel. Kekse, Bananen, Eis landen auf dem Tisch. Schließlich sind noch umgerechnet knapp 2 € zu verteilen und ich zeige ihr, dass ich für dieses Restgeld (Münzen auf den Tisch) Tomaten haben möchte. Mein Plan ist totsicher, um das Geld passgenau bis zum letzten Lek aufbrauchen zu können. Die Verkäuferin versteht und packt eine Hand voll Tomaten auf die Waage. Sehr schön. Dann noch eine Hand, und noch eine, und noch eine. Es nimmt scheinbar kein Ende. Ich bin schier überwältigt von dem gigantischen Haufen an Tomaten, der sich vor mir auftürmt, dass ich sie auch nicht stoppen kann. Am Ende ist alles Geld umgesetzt, und ich muss Till erklären, dass er nun eine riesige Tüte (ich schätze mehr als 2 kg) verstauen und den vor uns liegenden Berg hinauf fahren muss!
Er nimmt es mit Gelassenheit und Humor, schließlich ist er froh, dass er nicht das Ratespiel hat spielen müssen. Nun kann er beginnen, der Aufstieg zum Grenzübergang in den Kosovo. Ein Land, von dem wir nicht die geringe Vorstellung haben, was uns erwartet. Als ich vom Hostel aus mit meiner Mutter telefoniert habe und sie fragt, was unser nächstes Ziel sei, habe ich mich nicht einmal gewagt, es zu nennen. „Jaaa, ach das erzähle ich dir ein anderes Mal, grob Richtung Türkei.“ Habe ich nur gemeint, um sie nicht zu verunsichern. Verunsichern. Ist es denn unsicher? Was bedeutet das überhaupt? Wir sind neugierig und gespannt, es kennen zu lernen.
So, jetzt wart ihr bei den Skipetaren. Aber anders als Kara Ben Nemsi. Oder Till Ben Kara 🙂
Ja da waren wir, wenn auch etwas zu kurz um so viele Abenteuer zu erleben wie dein Namensvetter 🤠.
Danke für diesen tollen Reisebericht, und die wie immer beeindruckenden Bilder! Die Tomaten habt ihr nach dem Aufstieg sicher gut brauchen können, gerade bei der Hitze…
Tomaten wurden alle restlos verspeist, ein Tomatensalat ist doch immer wieder etwas feines! 🙂
Liebe Grüße, Janine