Bosnien Herzegowina und der Burek

Mit unseren Mobiltelefonen in der Hand fahren wir an die Grenze, das Dokument mit dem PCR-Testergebnis geöffnet. Falls der Beamte unbedingt auf ein Papier bestehen sollte, würde das eine Sucherei nach einem Copyshop bedeuten, die letzte Stadt an der Grenze schien nicht sehr groß, ob die so etwas haben? Wir probieren es erst einmal so, und reichen dem Beamten das Telefon zusammen mit dem Ausweis in seine Kabine. Er nimmt es entgegen, schaut auf den Bildschirm, zoomt ein bisschen rein und raus. Erstmal kein schlechtes Zeichen. Dann steckt er die Ausweise in seinen Scanner, stempelt sie und gibt uns beides zurück. Somit ist die erste Herausforderung gemeistert: Einreise gelungen. Wir sind froh, hier zu sein: bosnischer Teil: here we are.

Als nächste Herausforderung gilt zu überwinden: Geld holen. Währung ist hier: Mark, tatsächlich angelehnt an die ehemalige Deutsche Mark, Kurs: 1 € ~ 2 Mark. In der ersten Stadt, die wir hinter der Grenze passieren, kennt meine Karte keinen Geldautomat. Wir versuchen es trotzdem und fahren zu einer Stelle, die Post, Polizei, Bücherei nebeneinander verzeichnet. Das klingt doch, als könnte da ein ATM in der Nähe sein. Also, hingefahren. Hier ist tatsächlich eine Bank, zumindest das Schild dafür, leider können wir keinen Eingang finden. Wir fragen einen älteren Herren nach ‚Bankomat‘, der uns in bestem Englisch erklärt, dass sich dieser 50 m die Straße runter befindet (natürlich waren wir blinden Hühner bereits daran vorbei gefahren). Ich muss gestehen, ich bin tatsächlich überrascht, über die Sprachkenntnisse.

Nachdem wir die Mark in der Tasche haben, steuere ich gleich eine Pekara an (auch wenn der Bäckerei im Vergleich zu Kroatien ein ‚n‘ im Namen fehlt, ist sie doch als solche für mich sofort zu erkennen und auch die Tatsache, dass sie Burek haben! Daher ist mein Ziel, die noch warmen Mark in einen noch warmen Burek zu investieren. Nun muss ich nur noch herausfinden, mit was die gefüllt sind. Ich wage einen Versuch ‚meat‘? Auch hier erklärt mir die Bäckersfrau in gutem Englisch, welche mit Fleisch und welche mit Käse gefüllt sind, welche Teilchen süß sind und mit Schoko drin. Wieder bin ich überrascht. Von allen dreien etwas bitte.

Mit Mittagessen im Gepäck fahren wir zurück auf unsere Route, um dann festzustellen, dass diese einen Bogen um die Stadt macht und wir hätten nicht zurück, sondern einfach weiterfahren können. Nun, wir lernen so aber ein bisschen von dem Land kennen: es fühlt sich gleich nach einer ganz anderen Welt an, eine Welt, die uns an den Orient erinnert: die Schilder sind in arabischen und kyrillischen Lettern, das Stadtbild ist von Moscheen geprägt und auf den Straßen tragen die Frauen eine Art ‚Buff‘ auf dem Kopf, die Menschen scheinen sehr freundlich zu sein, sie grüßen uns ‚Ćao‘. Abseits der Hauptverkehrsstraßen fehlt meist der Asphalt, an vielen Ecken wird etwas (wahrscheinlich Müll) verbrannt, streuende, aber friedliche Hunde (auch ein Tierheim in dem wohl die Hunde für den europäischen Markt gezogen werden), immer wieder nimmt man den Geruch von totem Tier wahr, das irgendwo neben der Straße verwest. Die am häufigsten vertretene Automodell ist der 2er Golf, daneben weitere ausgemusterte Modelle, teilweise noch mit einer ausgeblichenen, deutschen Firmenaufschrift. Zudem ist es heiß und es geht steil bergauf und bergab. Konstant, sehr steil. Keine großen Höhen, aber steil und auf den unbefestigten Straßen sehr kräftezehrend.

Zeit, sich im Schatten zum Mittageseen nieder zu lassen. Das stärkt zwar, aber macht auch die Fahrt danach nicht einfacher. Wir schieben viel. Schnell müssen wir uns eingestehen, dass das Fahren im Balkan viel anstrengender ist, als zuvor und wir unser Durchschnittskilometer-Tagesziel unbedingt etwas reduzieren müssen. Sehr weit wollen wir heute ohnehin nicht mehr fahren, da die Route später wieder dichter an der Grenze entlang läuft und ich das für keine gute Gegend zum Campen halte. Daher biegen wir, sobald es sich ergibt, in ein kleines bewaldetes Stückchen ein. Nicht weit von Häusern entfernt, aber es soll für uns reichen. Till geht einen Weg ausspähen, ich einen anderen. Ich komme nicht weit, da mir gleich zwei Waldarbeiter und ein Pferd entgegenkommen. Das Pferd zieht einen Wagen mit dem Holz, das die beiden Männer geschlafen haben. Gut hier nicht. Bei Tills Weg sieht es aber schon besser aus. Wir lassen uns nieder, rasten, und hören immer wieder einzelne Schüsse. Die Schüsse kommen näher, Hundegebell, noch näher, es knallt ziemlich laut neben uns. Auch wenn kein Jäger von der Wiese in den Wald, sondern eher umgekehrt, schießen sollte, so weiß man doch nicht, wohin sich so eine Kugel verirren kann. Irgendwann fährt ein Auto in den kleinen Weg neben uns ein. Es ist der Jäger, der in Richtung Wiese trabt. Auf mein Drängen hin ziehen wir nochmal um, auch wenn Till der Meinung ist, dass uns der Jäger doch jetzt gesehen hat und wir damit aus der Gefahrenzone wären. An einer anderen und tieferen Stelle im Wald habe ich doch ein besseres Gefühl.

So schlafe ich die Nacht recht gut, Till aber nicht. Er steht wie gerädert und mit Übelkeit auf. Zum Glück ist es bis Bihać, wo wir wegen Schlechtwetter eine Unterkunft gebucht haben, nur 36 km, ich hoffe, er schafft das. Als wir das Zelt eingepackt haben, beginnt es bereits zu regnen, erst nur ein bisschen, dann stärker. Wir halten, um uns Regensachen anzuziehen, kurz darauf lasst es nach – die Regenklamotten-theorie funktioniert wieder. Zwar isst Till etwas Toast zum Frühstück, doch das macht die Übelkeit nicht besser, erst die Cola, sie ich ihm später besorge, hilft. So gut, dass am Abend auch noch ein Bier geht.

Auf dem Weg in die Stadt sehen wir immer wieder Menschen eindeutig nichtbosnischer Herkunft in kleinen Grüppchen die Straße entlang laufen. Sie haben nur bei sich, was sie am Leib tragen. Und Hoffnung auf ein besseres Leben. Später bestätigt uns Nedim, bei dem wir in einer Art kleine Einliegerwohnung einchecken, dass es sich um Immigranten auf dem Weg nach Europa handelt. Die Balkanroute. Bosnien versucht, sie an der Einreise zu hindern, doch wenn sie einmal über eine grüne Grenze ins Land gelangt sind, werden sie nicht bei der Weiter- und Ausreise behindert. Nedim erzählt uns, dass es nahe Sarajevo ein Flüchtlingslager mit 1500 Bewohnern gibt. Alle Nationen und Religionen werden dort zusammen gepfercht und sie haben Probleme untereinander, selten mit den Bosniern. An Bihać kommen viele auf dem Weg in die EU (Kroatien) vorbei, hier bei ihm vorbei. Sie warten in Bihać bis zur Nacht, und machen sich dann auf zur ca. 8 km entfernten Grenze. Die Stadt oder er selbst haben eigentlich keine Probleme mit ihnen. Probleme gibt es nur, wenn Alkohol ins Spiel kommt. Viele konnten in den Ländern, aus eben sie kommen, nie Alkohol kaufen oder trinken. Hier gibt es nun billig Bier und Red Bull Vodka, das trinken sie dann, werden abhängig und dann gibt es Probleme. Bei ihm sei noch nie was passiert, aber trotzdem will er das Tor abschließen und unsere Räder in der Garage verstauen. ‚Sicher ist sicher‘ meint er.

Am folgenden Tag rasten wir in Bihać, schneiden Videos, und schauen uns in einer Regenpause die Stadt an: sie versucht touristisch interessant zu sein, was ihr nur bedingt gelingt. Die Aufschrift eines T-Shirts einer Frau ‚Kinderturnkongress 2010 Stuttgart‘ unterstreicht die Ausstrahlung. Corona ist hier ganz weit weg. Nur Schildchen an den Türen der Supermärkte zum Masketragen erinnern noch daran, an die Vorgabe hält sich aber keiner. Außer die regelkonformen Deutschen natürlich. So sind wir am Abend, als wir uns für die nächsten beiden Tage durch den Nationalpark mit Essen bevorraten, deutlich als Touris zu erkennen.

Der Plan zum Aufbruch in Richtung Una Nationalpark steht, bis wir schlafen gehen. Der Plan beginnt zu wackeln, als Till in der Nacht bittet, ihn zu wärmen – ihm ist nie kalt! Ich gebe mein Bestes, um ihn mit maximaler Körperwärme zu versorgen. Er bekommt Schüttelfrost, Fieber, Übelkeit und dann bricht es aus allen Körperöffnungen. Nach der ersten Runde im Bad meint er optimistisch „jetzt ist es raus, kann morgen weiter gehen“ – ich glaube schon jetzt nicht daran. Nach einigen weiteren Runden lässt auch sein Optimismus nach und wir fragen Nedim am Morgen, ob wir noch eine Nacht bleiben können. Kein Problem meint er und räumt unsere Räder, die er schon für uns aus der Garage geholt hatte, im Angesicht der Tatsache, dass wir wohl heute kein Rad fahren werden, wieder hinein.

Der Burek, eindeutig. Till hatte Fleischfüllung und nun Symptome einer Lebensmittelvergiftung, ich hatte Käse, keine Symptome. Im Allgemeinen regelt der Körper das selbst: alles raus, was da nicht hinein gehört, und so schnell wie es kommt, ist es auch vorüber. Unterdrücken kann da eher kontraproduktiv sein. Ein Tag zur Erholung denke ich, wird schon alles wieder richten. Doch im Minutenrhythmus geben Tills Gedärme alles wieder frei, was irgendwo auszukramern ist. Unerlässlich. So viel kann gar nicht drin sein in dem Kerl. Unmöglich. Als ich Stunden später sicher bin, dass da nichts schädliches mehr im Magen sein kann, gebe ich ihm eine Dosis MCP. Das hilft gegen das Erbrechen und endlich kann er am Nachmittag mal ein bisschen Ruhe finden. Nur die Öffnung #2 hindert ihn im 30-Minuten-Takt am Schlaf. Er wird immer schwächer. Am Abend verpasse ich ihm in meiner Verzweiflung die erste Loperamid gegen die Diarrhoe (das einzige, das wir dabei haben) Dann noch eine, noch eine, noch eine, bis Mitternacht endlich Stillstand ist. Gut. Nun muss ich immer wieder aufstoßen. Bevor er in den Schlaf sinkt, sagt Till zu mir: „Bitte halte durch, ich könnte dich gerade überhaupt nicht pflegen“.

Bei mir bleibt alles gut, doch am folgenden Morgen ist an Radfahren noch immer nicht zu denken. Nedim hat schlechte Nachrichten: er hat die Unterkunft bei Booking.com nicht raus genommen und nun eine Reservierung! Sein Versäumnis tut ihm sichtlich leid, aber was will er nun machen. Wir müssen in ein Hotel in der Stadt umziehen: Till sucht bei Booking.com während ich packe und meint dann zu mir: „das Holiday Inn!“ „Spinnst du? Erholung schon uns gut, aber doch nicht auf Edelniveau!“ Doch der Booking-Sonderpreis von 19 €/Nacht wird von keinem anderen Angebot unterboten. Also buchen wir und schieben die Räder ganz langsam die 1,8 km zur neuen Unterkunft, kurz vor offiziellem Check-in-Beginn 12:00 stehen wir an der Rezeption. Ein Tag im Bett folgt und ein Süppchen soll am Abend Stärkung bringen. Ich will schon den Campingkocher im Hotelzimmer aufbauen, Süppchen muss sein, da entdecke ich kurz vorm Anfeuern im Schrank einen Wasserkocher (für die zwei Päckchen Nescafé gedacht) – Jackpot! 🙂

Hotel mit ganz besonderem Vorzug: ein Wasserkocher sichert uns eine Suppe als „Krankenmahlzeit“

Die Holiday-In-Nacht mit Loperamid-doping kann Till durchschlafen, ich bin so froh. Doch habe ich meine Zweifel, ob der Aufbruch am Folgetag wirklich eine gute Idee ist. Wir fahren in den Nationalpark, wo man nicht überall einfach das Zelt aufbauen kann, und ein Aufstieg von 500 m liegt vor uns. Doch Till besteht darauf und so fahren wir los.

Natürlich war das keine gute Idee.

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Jan Vogel
3 Jahre zuvor

Der cliffhanger wird immer besser!
🙂

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