Italiens Norden: Radreise Dolce Vita

An einem Regentag erholen wir die Beine, meine tauben Finger kehren nach dem Lenker-Schaltung-Bremsen-Umbau in Konstanz jeden Tag mehr zu ihrer angedachten Funktion zurück, die Schmerzen im Rücken verschwinden ebenfalls. Es geht aufwärts 🙂 Ebenso mit den Temperaturen, nur das Wetter ist sich noch nicht sicher, was es mit uns anfangen soll. Am folgenden Tag ist ausgezeichnetes Radelwetter, schon am Tag darauf wieder heftiger Dauerregen.

Wir starten also nach einem Tag Pause am Morgen bei 14°C durch das flache Land der Lombardei, wir genießen die ebene Strecke mit dem Blick auf die entfernten Alpenspitzen zu unserer Linken. Wissen wir doch, dass im Balkan wieder ordentlich Gebirgsfahrt auf uns wartet. Und irgendwo wartet auch die Ablöse der Western Toiletten durch die Hocktoiletten auf uns. Nur wo? Wir schließen Wetten ab. Till: Italien, Campingplatz. Ich: Kroatien. In Milano haben wir ausreichend Zeit, durch die Parks (auch hier nutzen wir ‚Western Toilets‘) und entlang der Promenade Darsena zu schlendern. Überall in den Straßen und Parks sind Menschen (die ihre Maske am Kinn tragen), spazieren, Kaffee trinken, musizieren und das Leben genießen. Es ist zunächst befremdlich, und dann überrascht es uns, wie gut es sich anfühlt. Einfach Menschen zu sehen, die sich selbst genießen. Anscheinend geht es den Heimischen mit uns ähnlich: zwei Mal werden wir in der Bezirkshauptstadt Mailand angesprochen (der es sonst sicher nicht an Touristen mangelt), ob wir Reisende sind und uns Zuspruch dafür entgegen gebracht.

Unser Weg führt uns vorbei an Gorgonzola

Wir treffen Mauro am Abend und können die kommende Nacht und glücklicherweise auch den darauffolgenden Tag in seinem gemütlichen Stadtappartement verbringen. Schon als wir aufwachen, schüttet es wie aus Eimern. Den gesamten Tag, ohne Unterbrechung regnet es was vom Himmel runter geht. Sind wir froh, dass wir Mauro haben und dies durch das Fenster von drinnen beobachten können. Voller Freude sehe ich in den malerischen Innenhof und den großen Tropfen zu, wie sie in die Pfützen platschen. Mauro zaubert uns nicht nur italienische Spaghetti con le cozze (Hihi. Das klingt für uns eklig. Heißt mit Miesmuscheln und ist lecker), auch holt er mit uns am Abend ‚echte‘ neapolitanische Pizza und macht den verregneten Tag damit mehr als erträglich 😉

Wir verabschieden Mauro und Milano, genießen es, die Stadt und den Verkehr hinter uns zu lassen. Um uns grünt es, die Rosen, der Flieder, der Holunder blüht, überall riecht es nach Blüten, knallrot zieren die Mohnblumenköpfe Feldränder, ganze Felder, es duftet nach Kamille, Kirschen und Maulbeeren tragen schon Früchte, aber noch fehlen ihnen ein paar Wochen zur Reife, Feigen sind noch klein und werden im September reif sein. Wein umgibt uns überall, und geht in der Ferne in die typischen nadelbegrünten Hänge über. Seit einigen Tagen habe ich mit der Allergie zu kämpfen, wie jedes Jahr. Fast bin ich froh, dass ich das Nasenspray nicht umsonst mit über die Alpen gekarrt habe! Cortison macht alle grünen Wiesen für mich erträglich und mich wieder sozial kompatibel. Niesend und nasewischend macht man sich ja in der Zeit gerade nicht sehr beliebt.

Till leidet die Tage ein bisschen anders unter den grünen Wiesen. Überall wird mit lauten Maschinen gemäht, egal wo wir rasten wollen, irgendwo dröhnt immer ein Mäher, oder ein Bläser (bläst Dreck von der einen Seite vom Aldi-Parkplatz zur anderen), oder ein Presslufthammer. Auch der Verkehr ist nun etwas wilder (italienisch eben). Es wird scheinbar jeder Weg mit dem Auto erledigt (anders ist die Dichte an Verkehr kaum zu erklären). Es wird sehr dicht und schnell überholt. Auch das Überhäufen der Straßen mit Bremsschwellen, die einen jedes Mal aus dem Sattel rütteln, hilft da nichts. Beim Vorbeifahren an uns Radlern überqueren die Räder der Autos nur selten den Mittelstreifen. Ich denke, das stimmt uns schon mal auf die Gegebenheiten in den kommenden Ländern ein.

Pferde mit Fohlen entlang des Weges

Aber vorerst zurück nach Italien: Der Norden des Landes ist sehr dicht besiedelt und für das Wildcampen nur schwerlich geeignet. Daher planen wir unsere Etappen und die Unterkünfte, zum Glück gibt es die Radreiseplattform Warmshowers. Das macht es doch entspannter. Aber nach einigen Tagen in Folge sehnt man sich manchmal auch nach ein bisschen Ruhe und Faulenzen, da ist es für uns auch nicht unangenehm, dass Host Andrea nicht zu Hause ist, uns aber trotzdem im Garten Campen lässt. Die Schwester heißt uns mit einer Limonade, ein paar Kräckern und Käse willkommen. Was für eine tolle Begrüßung 🙂 dann haben wir den Abend nur für uns allein, auf den Gartenstühlen unterm Pavillon, zwischen den Hühnern und mit einem Pferd im Stall, lassen unseren Stadtspaziergang durch Verona noch einmal Revue passieren und kuscheln uns dann im Zelt zusammen.

Verona

Die Fahrt durch Venetien führt uns entlang unzähliger Weinberge, vorbei an alten Burgen in ihren Mitten, durch die Weingegend Soave, immer die bewaldeten Hügel im Hintergrund. Es ist zwar weitestgehend flach, doch irgendwie macht uns der Wind heute zu schaffen. Mit Brezen, Croissant, frischen Erdbeeren und Joghurt hauchen wir den schlappen Beinen wieder Leben ein, und dann tragen sie uns die 100 km ohne weiteres Murren nach Bassano del Grappa. Ein Abstecher, den wir erst vor zwei Tagen in unseren Plan aufgenommen haben: hier treffen wir Arman wieder, den wir vor vier Jahren auf der ersten Reise in Teheran kennen gelernt haben. Wir haben damals mehrere Tage bei ihm verbracht, mit mehr oder weniger erfolgreichen Botschaftsbesuchen. Ohne ihn hätten wir es niemals hinbekommen, einen Flug über Turkmenistan (da war das mit dem Visum weniger erfolgreich) zu organisieren. Es ist ein super Timing, als wir gerade bei ihm ankommen, geht ein heftiger Regenguss draußen nieder. Da ist die Freude über das Wiedersehen gleich noch viel größer. Und ich hätte nicht erwartet, dass ich auf einer Fahrt durch Italien noch einmal iranischen Reis (inklusive Tadig! 🙂 🙂 ) bekomme!

Wein in Venezien

Nachdem wir gefrühstückt, spaziert, lange geplaudert haben, machen wir uns viel später als sonst auf den Weg. Heute steht nur eine kurze Etappe zum Lago di Santa Maria an. Erneut führt uns die Route durch Weinanbaugebiete. Landwirte in weißen Overalls sitzen auf den Traktoren, große Tanks ziehen diese Fahrzeuge. Gülle? Overalls als Gülleschutz? Nee. Hier werden die Reben gespritzt, die Arbeiter versuchen sich durch den Mars-Anzug zu schützen. Vom Sprühen aber heute nicht genug. Als wir auf dem Campingplatz sitzen und zunächst die einzigen Gäste sind, stellt der kleine Rasenmähertraktor (nachdem er zuvor den gesamten Platz mit dem Mäher beschallt hat) von Mähwerk auf einen Hänger um. Nach kurzer Pause und unserer Hoffnung auf endlich Abendruhe, legt er erneut los, diesmal mit einem großen Rüssel, aus dem weiße Schwarten kommen. Wir kennen das Prozedere aus Indien: Fogging gegen die Mücken. Er nebelt den gesamten Platz damit ein. Wir sitzen gerade beim Abendessen, ein bitterer Geschmack legt sich auf der Zunge nieder. Gut, es gibt hier wirklich viele Mücken, doch gut finde ich das trotzdem nicht. Nicht nur, dass er uns direkt mit (mehr oder weniger schädlichen?) Gasen einnebelt, mehr darüber, dass er uns den Geschmack der Nudeln vermiest.

Der Morgen hält einen fantastischen Blick auf die schroffen, waldigen, mit tiefen Wolken umhangenen Hügel, denen wir nun ganz nahe sind, für uns bereit. Erst fahren wir ins Tal, die grauen Begleiter immer dicht an unserer Seite, dann sollen wir durch einen dieser Gesellen hindurch: ein Tunnel, 1,5km lang, für Fahrräder gesperrt. Aber ein breiter Seitenstreifen, kaum Verkehr, und es geht leicht bergab. Ich habe kein Licht. „Los, wir machen schnell!“ höre ich von hinter mir. Also ersparen wir uns einen großen Umweg mit vielen Höhenmetern und strampeln fix hindurch. Auf der anderen Seite geht es kontinuierlich talwärts, bald sind die Berge wieder weit entfernt und zieren nur noch den Horizont. Sie verschwimmen vor den Augen in Pastellfarben im aufsteigenden Dunst vom Regen.

Der vergangene Regen beschert uns später am Tag noch eine überflutete Unterführung unter einer Bahnstrecke hindurch. Ein Schild weist auf das Wasser hin. Als wir davor stehen, meine ich: das kann doch nur ein paar Zentimeter hoch stehen, wie schlimm kann das schon sein. Als erster will ich aber nicht probieren und so wagt sich Till mutig voran, der erste Meter ist wie erwartet, doch dann wird es tiefer, und noch tiefer. Wie kann der Weg da nur noch so nach unten abfallen? Till ist bis zu den Knien im Wasser, die Taschen auch, er strampelt wacker, das Fahrrad in Bewegung zu halten ist in den Wassertiefen eine echte Herausforderung.

„Äähm.. ups.. da habe ich mich wohl verschätzt“ rufe ich zur anderen Seite der Unterführung hinüber. „Sorry Schatz“. Er muss nun Wäsche wechseln und auf Sandalen umrüsten. „Das heißt du kommst nicht nach?“ Ich überlege, aber die schlammige Brühe ist keine große Motivation. „Ich Versuche einen Umweg zu fahren“ meine ich. Till ist der Meinung, dass ein kleiner Abzweig nach ein paar hundert Metern wieder auf seinen Weg führt. Meine Karte meint, erst in ein paar Kilometern im nächsten Dorf. Ich winke und schlage den trockenen Weg entlang der Gleise ein. Nach einer Weile erspähe ich zwar eine Art Abwassertunnel unter den Gleisen, aber da ist keine Möglichkeit hindurch. Auf der anderen Seite, Tills Seite, sieht das wohl verheißungsvoller aus, und er schlägt sich durch hohe, dichte Wiese auf den vermeintlichen Tunnel zu. Währenddessen bin ich schon auf dem Weg in die folgende Stadt, fahre voller Erwartung an die vermeintliche Stelle, an der Till herauskommen müsste und bin mir sicher, dass er dort bereits auf mich wartet. Er radelt viel schneller als ich und hat bis dorthin den kürzeren Weg. In der Zeit sucht er im Dickicht des Tunnels nach mir. An der Kreuzung steht niemand. Ich schaue erwartungsvoll die Straße hinunter. Ich warte. Nichts. Ich fahre ein Stück die Straße entlang, an einer Gabelung bin ich nicht sicher, wohin weiter. Also warte ich. Minuten fühlen sich sie Stunden an. Nichts. Noch länger. Niemand.

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Martina
3 Jahre zuvor

Da ist ja alles dabei, von entspannt mit euch durch schöne Gegenden gondeln über leckeres und fragwürdiges Essen bis zum spannenden cliff hanger…bei Gewitter auf dem Sofa liegen und mit euch reisen ist toll, vielen Dank, dass ihr uns mitnehmt auf eure Reise!!!

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