Mit Kind und Regenjacke durch Norddeutschland

Wir haben gerade die Grenze von Dänemark nach Deutschland überquert. Noch fühlt es sich nicht anders an, noch stehen auf den Stadteingangsschildern auch dänische Bezeichnungen, noch finden sich hier dänische Supermärkte, noch haben diese auch sonntags geöffnet (wir fragen uns, wie das mit dem deutschen Ladenschlussgesetz vereinbart ist, aber allzu sehr dann auch wieder nicht). Noch herrscht starker Wind! Da sausen einem immer die Ohren, das ist nicht schön. Der Wind erschwert einem nicht nur die Fahrt, auch in den Pausen zieht es einen fast vom Platz. An diesem Tag fahren wir viel zwischen Feldern entlang, Aussicht auf einen geschützten Platz für die Mittagspause ist hier kaum. Wider Erwarten finden wir aber am Mittag eine tolle große Hecke, die uns als Windschutz dient und dabei einen super Job macht!

Freie Fahrt! Nur ein Schild zeigt uns an, dass wir zurück in Deutschland sind.

Wir checken nach einer weiteren Fahrtetappe am Nachmittag in einem Reiterhof ein, um dem Regen in der Nacht zu entfliehen. Beim Check-in bin ich so stolz auf unser freundliches Kind, er geht zu jedem, lacht die Leute an… und streckt ihnen die Zunge raus 😉 Dann beziehen wir das Zimmer, es ist geräumig… und hat eine nervige Fliege. Erst eine, dann immer mehr, obwohl wir die Fenster geschlossen halten. Es gibt eine Fliegenklatsche (na die wissen schon warum diese zur Ausstattung gehört). Klatsch, Klatsch. Es werden irgendwie nicht weniger. Zusätzlich dichten wir den Spalt unter der Zimmertür mit einem Handtuch ab. Trotzdem, immer wieder Fliegen. Wir jagen abwechselnd durch das Zimmer, bis es dunkel ist und wir als auch die Fliegen müde sind. Am Morgen sitzen wir die erste Runde Baby-Schlaf noch im Hotelzimmer aus (wir hatten extra eines mit spätem Check-out gesucht). Dabei schläft das Baby seit langem wieder einmal bei mir im Arm, und nicht im Hänger. Vor ein paar Wochen habe ich mich noch beschwert, dass er mich immer auf der Couch festnagelt, wenn er auf mir schläft. Und nun? Entwöhnung für beide Seiten. Mir geht das Herz auf, ich genieße es. 😊

Noch zwei Stündchen spielen und dann ist es Zeit zum Aufbruch. Zwar regnet es weiterhin, aber David ist gut geschützt und warm in seinem Hänger und schläft brav. Heute gibt es sogar mal Rückenwind, damit haben wir gar nicht gerechnet. Entlang des Deiches, vorbei an vielen Schafen und vielen Toren zum Stoppen der Schafe, und der Radfahrer. Mit dem Hänger sind die schmalen Gatter schwer zu passieren, und die Rückschlagfeder am Tor fordert, dass ich jedes Mal absteige, mein Fahrrad ablege, das Tor aufhalte, bis das Rad-Hänger-Gespann hindurchgezirkelt ist, und dann selbst hindurch schlingere. Kaum sitzt man wieder auf und hat das Fahrtempo eben wieder erreicht, kommt das nächste Gatter! So wird die Fahrstunde im Nu voll und ich bin bei dem Regen und Wind entlang der Strecke, wo außer Deich und Schafen und Weite nichts ist, schon unruhig, wie wir die anstehende Pause geschützt verbringen sollen. Wir fahren weiter und weiter. Wenn jetzt das Baby aufwacht… doch er schläft noch schön. Wir überlegen schon, ob wir abfahren und gegen den Wind ein paar Kilometer Bundesstraße ins nächste Dorf reinfahren sollen. Es ist nicht gesagt, dass es da einen brauchbaren Unterschlupf gibt. Da taucht plötzlich ein schützendes Häuschen am Deich auf, ganz einsam, mit Tisch, Bank und mit einem Lebensmittel-Automat mit Produkten aus der Region. Jackpot! Es gibt Haferflocken heute nicht mit Wasser, sondern mit Heumilch!

Dann Zirkeln wir weiter auf dem Deich entlang, unsere Fahrtrichtung dreht und damit auch die Windrichtung. Gegen den Wind scheint der anvisierte Campingplatz unerreichbar und wir müssen die Route vorbei an der Hamburger Hallich zugunsten einer Strecke weiter Inland wegkürzen. Sorry Hallich. An einer Infotafel bei der Heumilch haben wir über das Leben der Hallichbewohner gelesen, das muss für dieses Mal reichen. Nach der Windetappe machen wir drei Kreuze, als wir endlich den Campingplatz am Fährhafen erreichen. Wir mieten eine Parzelle zwischen all den Wohnmobilen. Auch wenn wir uns als einziges Zelt in diesem riesigen Abteil zunächst verloren fühlen, sind wir beim Zeltaufbau schnell froh über den Windschatten, den die Hecke und umstehenden Mobilheime bieten. Gemeinschaftsbereiche zum Sitzen gibt es auch hier wie sooft nicht, jeder sitzt in seiner Parzelle?! Wir sitzen zum Abendessen auf einer Bank vor dem Klohaus (geschmacklich bedenklich findet ihr?). Dann kommt doch noch ein Radfahrerpärchen aus den Niederlanden und tut es uns gleich. Vielleicht haben wir ja einen neuen Trend gesetzt. Das Baby wird schon ningelig, als ich noch mit der Tüte Erdnüsse beschäftigt bin, das heißt also schnell hinterschlucken, Zähne putzen und dann verschwinden wir im Zelt. Mittlerweile klappt das Schlafen auf der großen Luftmatratze für mich und das Baby ganz gut. Nur eben das Schlafen an sich nicht (alle Stunde wach!)

Verschlafen schaue ich aus dem Zelt in den trüben Morgen. Nein, diesmal ist es nicht meine Kurzsichtigkeit, sondern es ist grau und regnerisch. Wir schaffen es aber, das Zelt trocken einzupacken und fahren danach unter einer hellen Wolke zwischen schwarzen Wolken. Die Straße, auf der wir entlangfahren, ist nass, da hat es gerade geregnet, aber wir bleiben trocken. Dazu nochmal Rückenwind, der bläst uns voran. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. So viele Schafe. Stare stieben vor Till auf, als er ankommt, und begleiten uns ein wenig. Große Schiffe fahren neben uns auf der weiten Elbe. Hinter dem Deich bleibt das Unterteil verborgen, es könnte also auch die Fracht eines Schwerlasttransporters sein 😅 Wir rasten an einem Bushäuschen und setzen David vor uns auf die Matte. Mittlerweile kann er gut sitzen und fällt nicht mehr ständig um. Er greift jetzt nach den kleinen Dingen und sieht die Details, zum Beispiel den Anhänger am Reißverschluss, oder die Ameisen am Boden. Das macht auch uns noch viel aufmerksamer für die kleinen Dinge und das Erlebnis so viel intensiver.

Hinter diesem Hügel liegt die Elbe, ein Leuchtturm schaut verräterisch über den Deich

Ebenso intensiv ist das Vertrauen unserer Warmshowers-Gastgeberin für diesen Tag. Sie ist noch bei der Arbeit, als wir ankommen, hat uns aber einen Schlüssel für ihr Haus hinterlegt und wir sollen schon mal anfangen, uns wohlzufühlen. Und genau das tun wir auch! Wir duschen, waschen Wäsche, ich bereite Abendessen vor und begrüße sie mit dem Kochlöffel in der Hand: „Willkommen in deinem zu Hause. Ich bin Janine und es gibt heute Reis“ 😁 Uns schmeckt es, den Lachs findet David wenig schmackhaft (liegt es an meiner Kochkunst?) Dafür mundet ihm umso mehr sein ‚altes‘ Spielzeug, das uns eine frühere Gasatgeberin hinterhergeschickt hat und wir hier wieder erhalten! David spielt lange damit (was immer mit intensivem Abnutschen verbunden ist) und dann ist es 21:00 und damit Zeit für mich, mit dem Baby schlafen zu gehen. Dabei gibt es gerade leckeres alkoholfreies Bier und Chips – na es zählt ja alles nichts, allein wird er sofort unruhig und schläft eben nicht 🤷 Also ab ins Bett, er nuckelt eine dreiviertel Stunde, schlägt dann die Augen auf und ist er wieder hellwach. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Kann man es ihm verübeln? Es ist ja auch noch taghell draußen. Gut, wir gehen also wieder nach unten und ich komme doch noch zu einem zweiten Bier 😁

Der nächste Morgen, na ratet mal, was für Wetter ist… wir fahren im Niesel los, es ist durchdringender, sehr feiner Regen, der überall hinzieht. Schnell sind wir nass und kalt bei 16°C. Ziel für die 1. Pause ist das nächste größere Dorf, da soll es sogar ein Café geben – aber unser Timing kann nicht immer perfekt sein. Natürlich wacht das Baby vier Kilometer vorher auf, weint herzzeitreisend, da ist an Weiterfahren nicht zu denken. Neben unserer Straße führen Bahnschienen und dahinter sehen wir eine kleine Hütte. Mit den Rädern kommen wir keinesfalls durch die Hindernisse, sie bleiben also an der Straße stehen, und wir holen abwechselnd unsere sieben Sachen im Regen auf die andere Seite: das Baby, trockene Klamotten, Essen, Trinken, Windeln, Spucktuch (irgendetwas fehlt immer). Aber insgesamt haben wir doch kein schlechtes Plätzchen. Nur eine Heizung wäre was Feines. Schon 30 Minuten vor der nächsten Mahlzeit erwacht in mir der Bammel vorm Stillen, es ist so kalt. Man will nicht einmal den Reißverschluss der Jacke öffnen, geschweige denn den Pulli und das T-Shirt darunter lüften. Zum Glück hat Till eine Unterkunft für heute Nacht gebucht: einen Schäferwagen. Viele können das Wetter als Herausforderung sehen, doch ich beginne mich danach zu sehnen, dass wir diesem nordischen Regenklima bald davon gefahren sind.

Ein Gewitter trifft uns in dieser Nacht, der Wind drückt den Regen sogar am Fenster des Schäferwagens herein. Was für eine gute Entscheidung, die Nacht nicht im Zelt zu verbringen. Bis 11:00 Uhr verbringen wir am folgenden Tag im Schäferwagen bevor wir losfahren. Es windet stark, daher haben wir für heute nur eine kurze Etappe geplant. Über Land geht es zu Hilde und Wolfgang, die über die Plattform ‚1nitetent‘ einen Platz in ihrem Garten zum Zelten anbieten. Während wir im Regen dort hinfahren, hoffe ich, dass es in dem Garten einen windsicheren Platz gibt. Neben den liebenswerten Menschen findet unser Zelt einen geschützten Platz, und wir am gesamten Nachmittag Schutz und eine Spielecke in der tollen Gartenlaube. Ich sehne mich danach, die Küste bald zu verlassen. Der permanente Wind und das laute Getöse sind anstrengend, es fängt an mich zu belasten. Ich bin allem Anschein nach kein Küstenmensch. Hilde meint an diesem Tag, es sei tolles Wetter und erklärt mir: die Nordlichter brauchen den Regen und den Wind – ich verstehe. Ich brauche eben den Wald. So einfach ist das. Das stimmt mich versöhnlich mit dem Norden.

Typisches Küstenwetter: Es sieht nicht nur nach Regen aus!

Der nächste Tag kommt schnell und mit ihm die Elbüberquerung – ein Meilenstein für uns, aber leider auch das Ende des Rückenwindes. Wir werden auf der Fähre total nass von der Gischt, die über die Reling spritzt. Bin ich froh, dass David noch schläft und die großen Tropfen an der Hängerplane hinunterlaufen. Noch auf der Fähre ist uns nicht klar, wohin wir nach dem Verlassen des Schiffs fahren. Was machen wir heute? Zu einem Zeltplatz? Das schont unser bereits angespanntes Budget, aber er liegt zehn Kilometer in die falsche Richtung (ja, das ist für uns weit) und morgen bei 60 km/h eben diese 10 km mehr gegen den Wind, macht gesamt 40 km – das schaffen wir nicht. Leider gibt es in die richtige Richtung keinen erreichbaren Zeltplatz. Wir fahren erstmal zu Aldi, machen dort Rast, essen Joghurt und checken noch erneut das Wetter.

Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals (wegen Gischt gibt es von der Elbüberquerung kein Bild, da muss dieses hier genügen 😉 )

Nicht nur für den kommenden Tag, auch für die Nacht bereits sind Sturm und Regen gemeldet. Ein weiterer Punkt, der gegen den Zeltplatz spricht. Also entscheiden wir uns heute wiederholt dafür, eine Unterkunft zu nehmen. Der Plan steht, doch die Umsetzung ist schwerer als gedacht. Wir rufen bei einer Pension an: es geht keiner ran. Die nächste: ist voll. Bei der nächsten geht wieder keiner ans Telefon. Dann erreichen wir ein B&B, die uns gerne empfangen. Wir freuen uns sehr darüber! Dann aber wird uns klar, dass wir nun in einer Etappe (die letzte des Tages) 25 km gegen den Wind fahren müssen. 😱 Das ist für uns kaum zu schaffen, unsere Etappen liegen bei etwa 15 km. Alternativlos fahren wir dennoch los. Und hauen rein! Hauen rein, dass die Beine brennen. Wir nehmen die kürzeste Strecke entlang der Bundesstraße, nicht schön, aber der Wind pfeift mir so sehr entgegen, da fallen die Autos geräuschtechnisch ohnehin kaum auf. Ich denke nur an das Baby, für das es doch viel schöner wäre, nun gleich in einer warmen Unterkunft spielen zu können, anstatt nochmal in der Kälte zwei Stunden hier am Straßenrand zu verbringen und dann vielleicht wach weiter, gelangweilt, weinend? Brr… Gas!

Eine Stunde und 17 Minuten später schläft das Baby immer noch in seinem Anhänger und wir klingeln geschafft aber glücklich an der Tür unter dem B&B-Schild. Während draußen der Sturm tobt, bleiben wir trocken und finden, dass das doch gut investiertes Geld war!

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Klaus Möhn
1 Jahr zuvor

Herzzeitreisend
Neues Wortr gelernt…
Und wirklich: diese Zeit eures Lebens mit einer solchen Reise zu verbringen geht ans Herz !
Viele Grüße aus Südtirol. Ich fahre hier auch gernde mit dem Rad (wenn es trocken ist und der Wind nicht weht).
Onkel Klaus

Timandannie
1 Jahr zuvor

Gday Till and Janine, remember Tim and Annie from Tasmania??? We are now living in Peniche Portugal! We saw you were just down the road and wondered if you are still in Portugal? It would be great to see you again. We are still doing warmshowers but have had to make ourselves unavailable at times because we get too many requests. But tell us where now all 3 of you are, maybe we can meet?
Cheers T and A

Admin
1 Jahr zuvor
Reply to  Timandannie

Of cause we remember an unforgetable stay in Tasmania! It was so great to see you again, Tim and Annie!

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