Nach einer recht lauten Nacht im Zelt hinter einer Tankstelle, bei der der Strom immer wieder ausfiel und das sagenhaft laut knatternde Notstromaggregat neben uns anspringen musste bis, sind wir bereits 06:00 startklar zur Abfahrt. Dem jungen Tankwart haben wir versprochen weg zu sein, bevor der Chef kommt. Dieser glückliche Umstand beschert uns eine wundervolle atmosphärische Stimmung, die Sonne ist noch hinter den Bergen und ein leichter Dunst hängt an deren gelben Spitzen. Dann entdecken wir am Himmel einen Heißluftballon. „Ui, guck mal da! Und da ist noch einer, und noch einer.“ Wir trauen unseren Augen kaum. Wie Pilze im Wald sprießen, steigen auf einmal immer mehr Ballons aus den Feldern der Umgebung zum Himmel auf. Zwischen den Dörfern entscheiden wir uns daher für eine kleine Detour einen Hügel hinauf, von der wir sie besser sehen können: und was für ein Anblick ist es, die Ballons über dem von beigen Bergen eingefassten Tal zu sehen, als gerade die Sonne emporsteigt.
Beschwingt von dieser unerwarteten Entdeckung am Morgen radeln wir nach Pamukkale, wo das mineralhaltige Thermalwasser über die weißen Sinterterrassen den Hang hinab zu natürlich gebildeten Pools fließt. Quellen, in denen schon Kleopatra gebadet haben soll. Doch der Zugang ist noch versperrt und die Anlage öffnet erst in 1,5 Stunden. Zudem meint Till, er hat die wie Watte aussehenden Ablagerungen bereits von außen gesehen und möchte nicht mit hinein. So entscheide auch ich, die 11 €/ Person zu sparen und stattdessen lieber in ein leckeres türkisches Mahl zu investieren. Wir radeln also über Dörfer durch das von Granatapfel- und Kakibäumen durchzogene Tal; die gelben Felsen, die es einfassen, erinnern uns an die Landschaft im Iran. In Denizli wird der Verkehr dichter, auch bei grüner Fußgängerampel kann man keinesfalls an ‚Freie Fahrt‘ denken, bekommt Till zu spüren, als er beinahe von einem Bus vom Rad geholt wird. Um den Schock zu verarbeiten, halten wir kurz darauf bei einer Bäckerei. Erstmal einen Tee trinken – das lehrt uns die Kultur hier. Bei Kartoffelburek und Poğaça mit Dill verdaut sich das Erlebnis ganz gut, zudem hat der Angestellt 25 Jahre in Deutschland gelebt und erzählt uns seine Geschichte.
Frisch gestärkt, physisch und mental, bringen wir die letzten Kilometer zu der AirBnB-Unterkunft, die wie für zwei Tage gebucht haben, hinter uns. Wir klingeln, es ist keiner da. Irgendwie hatten wir das schon kommen sehen, das scheint seit dem Balkan eher der Standard zu sein. Also zurück zu einem Café mit WiFi, noch einen Ayran trinken und dem Vermieter schreiben. Dann klappt alles ganz problemlos mit dem Treffen – zunächst checke ich alleine ein, die Unterkunft ist… türkisch eben: der Duschkopf fällt auseinander, der Ablauf hat keine Abdeckung, am Waschbecken tropft es, aber alles in allem ist es gut und wir fühlen uns wohl. Da es nicht penibel sauber ist, fällt es auch gar nicht negativ auf, wenn wir die Räder mit zu uns nach drinnen nehmen 😉
Nicht so problemlos läuft es mit Tills Rad: auf dem letzten Kilometer verliert er auf der vielbefahrenen, sechsspurigen Straße wieder die beschädigte Kurbel. Schnell bleibt er in der Straßenmitte stehen, um sie einzusammeln und vor dem Verkehr zu retten. Till schiebt bis zur Unterkunft, ich fahre schon vor, um den Vermieter diesmal auch anzutreffen.
Die kommenden beiden Tage verbringen wir wieder am PC, mit Videoschneiden, Emailschreiben und Bilder sortieren. Es hat 40°C, und so sind wir gar nicht böse über die Rasttage unter der Klimaanlage; und erleben dabei etwas, das uns fast die Tränen in die Augen treibt. Wolfgang vom ACS-Vertrieb für Rotor-Teile in Deutschland meldet sich, und fragt, ob wir das Problem mittlerweile mit der Hauptfirma lösen konnten. Wir berichten ihm den leidvollen Stand der Dinge: wir bekommen keine richtigen Antworten, dann stellen sie wieder Fragen, die wir schon tausendmal beantwortet haben, dann wieder keine Rückmeldung. Wolfgang ist erschüttert. Er hat die Teile nun wieder im Lager, nach unserer Schilderung fasst er sich ein Herz und entscheidet wohl auf eigene Verantwortung, uns nun die Teile aus Deutschland loszuschicken. Gleich morgen will er sie an die Versandabteilung und Post übergeben. Wir glauben es kaum. Nach vielen, vielen Wochen scheint sich nun endlich etwas zu bewegen. Wir sind hin und her geschüttelt zwischen Freudensprüngen unter der AC und Zurückhaltung – bis wir sie auch tatsächlich in den Händen halten werden. Der warmshowers-Host Arif in Kappadokien, dessen Adresse wir für den Versand nutzen dürfen, liegt noch knapp zwei Radfahrwochen entfernt, die Post gibt den Versand mit 8 Tagen an. Wir sind vorsichtig optimistisch.
Am Tag der Weiterreise sind wir zunächst betrübt, die harte Arbeit für das Video wird (noch) nicht mit Erfolg gekrönt, der Upload über die Nacht hat nur 65% erreicht. Gutes WiFi ist im Lande rar. Ob das an der Hitze liegt? Es ist noch immer heiß, aber wir feiern doch, dass die Temperaturen heute kurz unter der 40°C-Marke liegen sollen. Mit Kurs auf Zentralanatolien steigen wir nun um 1000 Meter in die inneranatolische Zentralebene auf. Wir haben 4 Liter des im Kühlschrank über Nacht vorgekühlten Wassers in unseren Isolierflaschen. Sie bringen uns trotz Hitze in eine Landschaft, die karg, baumarm, gelb, wüstenartig zu werden scheint, mit weniger Feldern und weniger Dörfern. Aride nennt sich das Klima, habe ich gestern bei Dr. Google gelernt: trocken, dürr.
Am Mittag ist es das schönste, die Füße aus den Schuhen zu nehmen und etwas zu lüften. „Du hast ganz viele weiße Streifen im Gesicht und auf der Haut“ belächle ich Tills Salzkrusten. „Du müsstest mal dein T-Shirt von hinten sehen!“ Im Schatten eines Baumes vor einem Café können wir wieder lachen. Gerade bei den langen Anstiegen schlagen die Unterschiede in unseren Fahrtempi mehr zu Buche als auf flacher Strecke, das führt schon mal zu Konflikten und Tränen. Ein guter türkischer Çay vertreibt aber so manche Sorge, sage ich euch.
Die Salzkrusten verfolgen uns, wir entdecken auch in der Landschaft weiße Streifen, die an Salzkrusten erinnern. Wir halten am Straßenrand in einer Parknische, um ein Foto zu machen. Ein LKW steht ebenfalls hier zum Rasten, als er uns sieht, bringt er uns zwei kalte Wasserflaschen aus seinem Wagen. Wir bedanken uns, halten ein wenig Smalltalk in silent language und fahren dann alle drei weiter. Etwa drei Kilometer später sehe ich wieder einen Laster stehen. Ist das nicht derselbe, wie der eben? Wenn der alle 3 km Pause macht, kommt er aber nicht weit, denke ich bei mir. Es ist der gleiche Truck, der Fahrer winkt uns zu, als wir näherkommen. Als wir stoppen, hat Süleyman bereits Wasser gekocht und serviert uns in seiner ‚Trucker-Küche‘ Kaffee. Er ist in Berlin geboren, zeig er uns auf seinem Ausweis. Das musste er uns unbedingt noch sagen; er fühlt sich irgendwie mit uns verbunden und ist froh, uns getroffen zu haben. Ist das süß! Wir werden noch mit einer Tüte Knabberei und etwas selbstgepresstem Olivenöl seiner Familie versorgt. Während er uns etwas von seinem Vorrat in die eben geleerte Wasserflasche abfüllt, sammeln wir noch die Kaffeeverpackung ein, die ihm ‚runtergefallen‘ ist und stecken sie in unsere leeren Becher.
Beschwingt vom Erlebnis und dem Kaffee radeln wir in den Sonnenuntergang. Wir staunen ein bisschen, wie schnell es doch dunkel ist, sobald die Sonne gehen 20.00 hinter den Hügeln verschwinden ist. Die letzten 4 km ohne Licht haben wir dann doch etwas Gas geben müssen, da es schon dämmerte. Doch das Stück bis zu einem kleinen Wäldchen hat sich gelohnt, hier sind wir geschützt vor dem Wind und vor Blicken, können nur unterm Moskitonetze schlafen und die kühle Luft genießen, die es auf über 1000 Höhenmetern in der Nacht bekommt. Es gibt hier oben zwar weniger Moskitos, dafür mehr Fliegen.
Auch wenn die Gegend wenig stark besiedelt ist, bedeutet das nicht, dass kein Verkehr herrscht. Und jeder hupt! Dazu kommen immer mehr scheinbar selbst zusammengebaute Lastenfahrzeuge (sogenannte „Patpats“ werden wir später lernen; der Name kommt vom Geräusch des Kolbens, der in dieser Weise auf und ab macht; sie sind offiziell wohl verboten, wird aber nicht geahndet): vorne Rasenmäher, hinten Ladefläche. Das Knattern der Motoren ist schon von Weitem zu hören. Es kommt so langsam näher, wie die Gefährte eben langsam fahren, es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie mit ohrenbetäubendem Lärm an uns vorbeigefahren sind, und benötigen dann noch einmal eben so lange, bis das Pat-pat-pat endlich samt der schwarzen Wolken stinkender Abgase, die sie hinter sich herziehen, verschwunden ist. Und dann ist bereits das nächste im Anmarsch zu hören.
Die Mittagspausen in Karadiili verbringen wir in einem Çay-Café (oder wie soll ich den zentralen Bereich eines Dorfes beschreiben, in dem immer Tee serviert wird, sich alles zum Austausch von Neuigkeiten trifft und es ganz normal ist, dass man sein eigenes Essen mitbringt). Bald kommt von irgendwo eine Schale Kirschen zu uns herüber, ein Mann kommt und bietet uns eine Zigarette an (Rauchen ist im Land sehr verbreitet), ein anderer eine Hand voll Sonnenblumenkerne aus seiner Tüte. Der Café-Betreiber bietet an, wir könnten in dem Parkbereich unser Zelt für die Nacht aufschlagen. Das Angebot ist sehr nett, gegen 18:00 entscheiden wir dann aber doch, noch ein Stückchen zu fahren. Es ist zwar nicht mehr so heiß, aber der Anstieg von 350m bei steilem Gradienten bringt uns sehr ins schwitzen, der Gegenwind macht es gefühlt noch steiler. Ich ächzte und stöhne, um meiner Anstrengung irgendwie Luft zu machen. „Nur 350 Höhenmeter, los Körper, so viel ist es nicht. Los, weiter. Soll das schon deine Grenze sein? Nee, da geht noch was. Langsamer atmen, mehr treten. Los, los.“
Alle Anstrengung macht sich am Ende doch bezahlt, da wir eben den Gipfel erreichen, als die Sonne hinter den umliegenden Bergen versinkt. Wir legen die Räder ab, setzen uns und schauen ihr beim Versinken und Färben des Himmels zu. Neben uns schaut ein Pärchen ebenfalls den Sonnenuntergang (sie sind mit dem Auto hochgefahren). Sie schenken uns von ihren Pflaumen und Aprikosen, dann fahren sie von dannen und wir schlagen unser Zelt zwischen den Kirschbäumen auf (Sauerkirschregion). Nachts wird es auf > 1400 m angenehm frisch, es ist hier oben so leise, nicht mal Hundegebell gibt es in der Ferne. Nur uns und den Sternenhimmel.
Wie sich die Zeiten ändern…
11 € Eintritt in Pamukkale ? Ich konnte damals im Original-Becken der Kleopatra umsonst
meine Füße baden… 🙂
Aber 11 € ? Die spinnen, die Türken.
Hallo Klaus,
Ich hätte die 11 € wahrscheinlich sogar ausgegeben, wenn ich nicht zufällig vorher über https://www.novo-monde.com/en/turkey-pamukkale-hierapolis/ gestolpert wäre. Ein Blick unter den Abschnitt Pamukkale: The other side of this very touristic place… und ich hatte wieder das Gefühl Teil eines Problems zu sein… Ein Gefühl das man als Reisender nicht so gerne hat. Es ist ein bisschen wie mit dem Autofahren, es wäre so schön wenn die ganzen anderen Autofahrer nicht wären…
Zum Glück gibt es in der Türkei genug Sehenswertes, dass einem kein solches Gefühl beschert 🙂