Unser Baby futtert Sand, Steine, Creme… aber mag den pappsüßen, nach künstlicher Himbeere schmeckenden Paracetamol-Fiebersaft nicht?! Da versteh einer die Welt. Es zählt alles nichts, die quietschrosa Brühe muss ins Kind und sorgt Gott sei Dank dafür, dass die nächste Fiebernacht besser wird und David schlafen kann. Schlaf macht ja bekanntlich gesund (und der Fiebersaft trägt freilich seinen Teil dazu bei) und der nächste Tag startet auch besser, so dass wir beschließen, nach León aufzubrechen. Marisa weint zum Abschied! Obwohl wir nur zwei Tage in ihrer Unterkunft verbracht haben, hat sie uns bereits ins Herz geschlossen und auch wir werden ihre Bekanntschaft immer in Erinnerung halten. ♥️
Bis León sind es 41 km. David ist nach drei Tagen Fieber gut drauf, spielt und trinkt wieder besser. Doch heute hängt Till durch. Ich bin dankbar, dass es flach dahin geht und uns heute der Wind freundlich gesinnt ist. So schaffen wir es trotz Kräfteeinbußen bis zum Nachmittag nach León, Till kann sich dort ausruhen, während David und ich uns auf dem Spielplatz durch die Steine buddeln. Dabei mache ich Hockstrecksprünge, um das aufgebaute Schlafdefizit der letzten Tage zu übergehen.
Doch leider hilft der Nachmittags- und Nachtschlaf Till nicht und es geht ihm auch am folgenden Tag nicht gut. In drei zähen Touren kommen wir doch 43 km bis zu einer Albergue, deren Garten auf den Bildern im Internet so aussah, als könnten wir dort zelten. Wir fragen also, ob wir unser Zelt auf dem Gelände aufbauen können, da das für uns angenehmer ist, als im Schlafsaal (wenn auch die Nacht wieder sehr kalt werden soll). Die Hospitaleros bejahen zunächst, entscheiden sich an der Kasse zum Registrieren aber anders: sie machen für uns einen zusätzlichen Schlafsaal auf. Nur falls noch jemand nach uns kommt (und es ist bereits nach 17:00, also unwahrscheinlich) würde er/sie zu uns kommen. Sie sind gleich verliebt in das Baby, bringen eine Schüssel zum Baden, müssen jedes Mal, wenn sie an ihm vorüber gehen, stehen bleiben und mit ihm schäkern. Die letztmögliche Ankunft um 20:00 verstreicht und wir bleiben für uns. Wir sind dankbar dafür, dass wir ungestört bleiben, oder besser wir keinen stören. David weint zum Einschlafen lange und findet schwer in den Schlaf.
Dafür findet die Nacht ein frühes Ende. Das Baby ist bereits um 06:00 wach, aber schläft mir 07:30 im Arm schon wieder ein, während Till die Räder sattelt. Zum Glück fühlt sich dieser heute besser (war das auch sowas wie Dreitagesfieber??) und so fahren wir kurz vor 08:00 noch im Dunkeln los. Jagt uns die Route sonst über jede Schotterpiste und Feldwege, auf denen die Fahrradbeleuchtung egal wäre (nur der Hänger hat Licht), führt unser Weg an diesem Morgen zunächst entlang einer vielbefahrenen Bundesstraße und erst als es heller geworden ist, biegen wir auf eine ausgediente, ältere und unbefahrene Straße ab. Es ist kalt, sogar durch meine Handschuhe hindurch, und ich bin den Hospitaleros sehr dankbar für die Nacht im Warmen, das wäre im Zelt schon sehr kalt geworden! Doch nun wird es uns schnell warm, denn auf der ersten Etappe klettern wir 300 Höhenmeter rauf ins Gebirge. Bye Bye, flache Hochebene, von nun an wird es wieder bergig; aber es wird auch viel grüner als in Castilia y Leon: Wälder, Wiesen, viele Eichen treten an die Stelle von gelben abgeernteten Stoppelfeldern.
Inmitten der neu gewonnenen Grüntöne steigen wir an diesem und am nächsten Tag zwischen Krüppeleichen und Erikagewächs auf den höchsten Punkt des Camino auf! Ich dachte mit der Überquerung der Pyrenäen lag das härteste Stück des Camino hinter uns – da wusste ich noch nicht, was mit dem Kantabrischen Gebirge vor uns liegt! Auf 1540 m sind wir hier höher als in den Pyrenäen. Am Gipfelkreuz rasten wir und beobachten die Pilgertouristen, die mit hochhakigen Schuhen aus dem Bus aussteigen, ein Foto machen und weiterfahren.
Eben letzteres tun wir ihnen gleich, schießen also ein Foto und brausen dann 1000 Höhenmeter den Berg hinunter. Der Wind der vergangenen Tage hält auch auf dieser Seite des Gebirges an und macht die Abfahrt fast anstrengender als den Aufstieg. Auch der Verkehr wird anstrengend. Die Etappe ist lang, eigentlich viel zu lang, doch wir wollen Ponferrada erreichen und nicht riskieren, von einer vollen Herberge abgewiesen zu werden. So fahren wir 14:30 in die Pilgerherberge ein und dürfen hinter dieser zelten. Eigentlich ein Grund zur Freude, doch irgendwie merken wir, dass uns die anstrengenden Tage auf dem Camino in den Knochen sitzen – und auf dem Gemüt. Die Höhen, die Kälte, der Druck vor dem nahenden Winter, die Konkurrenzsituation um die Unterkünfte. Das Vorankommen und Unterkommen dominiert die Tage, nicht das Dahinfahren. Die Stimmung ist gereizt und ich sehne das Ende der Pilgerroute herbei. 😭