Dänemark, Beerenstark

Wir starten in das erste für uns neue Land, das wir als Familie bereisen, mit Rückenwind. Jaaa! 😃 Und mit Tag 6 ohne volle Windel 💩 beim Kind. Waah! 😱 So nahe liegen Freude und Sorge beieinander. Es ist flach, angenehm warm und die Straße in gutem Zustand. Ja, die Straße. Wir hatten ein Netz von Radwegen erwartet, doch uns wird schnell bewusst, dass man dies so nur in und um Kopenhagen findet. Die Radwege in den ländlichen Regionen beschränken sich maximal auf einen schmalen Strich, der auf die Straße aufgemalt ist. Aber der Verkehr ist mäßig und wir kommen gut voran. In der ersten Stadt hinter der Grenze wollen wir Geld tauschen, doch das ergibt sich irgendwie nicht. Wir sind nicht beunruhigt, sollen die Dänen doch plastegeldaffin sein, und verschieben das Tauschen auf später.

Unsere Mittagspause verbringen wir in einer Rasthütte am Pilgerweg und treffen da Klaus. Der ist auf dem Weg zum Nordkapp, das dritte Mal erklärt er uns. „Wo ist denn da noch der Reiz“ möchte ich wissen, „wenn man bereits am Ziel gewesen ist?“ Während wir unsere Äpfel mit ihm teilen, die wir noch aus Deutschland dabei haben (3 kg waren im Angebot), erklärt er mir, dass er diesmal eine andere Route fährt. So sucht eben jeder so seine Herausforderung.

Unsere nicht allzu herausfordernde Etappe schließen wir heute mit einer Nacht in einer Airbnb-Unterkunft ab, ein Traum von einem Apartment! Es ist nicht nur liebevoll und japanisch angehaucht eingerichtet (mit einem japanischen Garten hinter der Terrasse), auch hat die Vermieterin Marie Enkel im Alter von David und schon jede Menge Spielzeug für ihn herausgesucht! Er freut sich und quiekt am Abend laut. Wir sind uns nicht sicher, ob er seine Stimme übt oder ob ihn etwas quält. Vielleicht der 💩? Aber über die richtige Entscheidung zur Buchung der Unterkunft sind wir uns des Nachts sicher, als der Regen draußen tobt und die Äste eines Baumes auf das Blechdach peitschen.

Nach dieser wohlig warmen und trockenen Nacht verlassen wir am Morgen bei durchwachsenem Wetter das Dorf und wagen den Aufstieg auf einen Hügel. Der Aufstieg um 100 Höhenmeter fühlt sich an wie die Besteigung eines 8000er. Dabei huschen Rehe von der Wiese in den Wald und an den bald (fühlt sich in dem Moment an, wie eine Ewigkeit) unter uns liegenden grünen Hängen zieht der Wind wie in Wellen über das Gras. Das ist herrlich beruhigend und während einer langen Pause beobachten wir das ‚Wiesenmeer‘. Danach führt unsere Route durch ein Stückchen Wald, plötzlich bremst Till vor mir ab und springt vom Rad. Wie läuft er denn? Ganz komisch schiebt er das Rad mit Hänger und eiert dabei die Straße entlang. Sticht ihn etwas? Von einem Fuß pendelt er auf den anderen, geht nur auf den Fußballen. „Hier auf der Straße ist alles voller Minifrösche“ Höre ich es letztlich rufen. „Es sind schon viele überfahren. Ich will nicht dazu beitragen, dass noch mehr sterben müssen.“ Also schiebt er. Und tänzelt. Mit einem Mal flammt in mir wieder auf, warum ich diesen Mann geheiratet habe. 🤗

Durch das Schieben kommen wir nicht weit und machen bald schon wieder Rast in Christiansfeld, der Stadt der Herrnhuter Brüdergemeine. Wir haben immer noch keine Kronen abgehoben, langsam sehen wir es als Herausforderung und wollen auch ohne durchkommen. Wir haben auch immer noch keinen 💩, aber in dieser Sache wünschen wir uns nicht, ohne durchs Land zu kommen; es ist Tag 7 und wir werden nervös. Das Baby aber ist quietschfidel, oder sollte ich sagen quiekfidel? Das Quieken hält an, wir interpretieren mal Freude hinein. Im Park auf dem gepflegten Rasen üben wir Krabbeln. Noch ist der Reibungskoeffizient von Kopf auf Rasen zu hoch für das Baby, um nach vorne zu kommen. Bestenfalls schiebt er sich rückwärts.

Christianfeld

So richtig vorwärts kommen wir in Dänemark nicht, denn das nordische Wetter hält uns weiter in Schach. Fast täglich ist Regen angesagt. Vier verschiedene Wetter-Apps sind sich dahin gehend uneins, dass es mal nur am Morgen, mal nur am Abend, gar nicht oder den gesamten Tag über regnen soll. Das macht uns das Vorausplanen schwer. Für einen vermeintlich kompletten heftig verregneten Tag haben wir in Kolding eine Unterkunft genommen, da regnet es nicht. Zwei Tage später haben wir erneut wegen Schlechtwetter eine Airbnb-Unterkunft gebucht – diesmal regnet es wirklich, wir feiern unser Dach über dem Kopf und wir feiern nach acht Tagen Darmumstellung auf Beikost endlich den 💩. Kommt es nur uns Eltern wie eine Erlösung vor?

Nach dem brauen Glück kommt das rote Glück. Unsere Gastgeberin lässt uns im Garten Erdbeeren pflücken, sie schafft es nicht, alle zu ernten und zu essen. Mein 2. Vorname ist ‚Queen-of-Beerchen‘ und ich bin im 7. Himmel! Da machen auch ein paar Tropfen Regen gar nichts. Eine Schale, ruckzuck dann die 2. und 3. und 4. und.. dann bremst Till mich, da uns sonst ganz schlecht von all den ‚Jordbær‘, wie sie die Dänen nennen, würde. Aber wenn doch das Sammelfieber einmal angestiegen ist und trotz sammeln noch sooo viel Rot unter den Blättern leuchtet?!? Gut, ich gebe mich geschlagen, trage meine Beute nach drinnen und beginne, das Kilo Rot zu waschen und zu putzen. Und zu naschen. Njam. Nun ist es kein Kilo mehr 😅 Zu guter Letzt bekommen wir noch ein Glas Jordbær-Marmelade von unserer Gastgeberin mit ins Gepäck und fahren am folgenden Tag weiter gen Norden.

Eine Fahrt, nicht ohne Pausen, versteht sich. Diesmal findet sich ein Park mit einem Spielplatz. David kann mittlerweile recht gut Sitzen und so packe ich ihn mal in den Sand. Zunächst beäugt er den fremdartigen Grund und streckt die Hände nach unten. Dann langsam beginnen sich die Augenbrauen zu heben und die Finger zu bewegen, zur Faust zu ballen und zu Grabschen, und wieder zu Grabschen. Es ist herrlich zu sehen, welch eine Freude es ihm macht, den Sand zwischen den Fingern zu spüren. Die Faszination scheint nicht zu enden, bis wieder Zeit für ein Schläfchen ist und wir ihn zurück in seinen Hänger legen. Am Abend nach der Grabsch-aktion gibt es ein Sitzbad im Waschbecken. Unglaublich, wo nach Stunden noch überall Sand herkommen kann.

Das erste Mal spielen im Sand

Am folgenden Tag erreichen wir Fredericia, unser Etappenziel für Dänemark. Das nordische Land landete auf unserer Route als Zwischenstopp, um Freunde zu besuchen. Vor fünf Jahren haben wir Dea in Usbekistan kennen gelernt, viel hat sich seither geändert, wir sind beide in komplett neuen Rollen: nun mit Kind. Und doch ist für uns so viel gleich geblieben. Wir verbringen zwei tolle Tage unter lieben Menschen, genießen dabei die Gastfreundschaft der ganzen Kommune, die in dem Wohnkomplex zusammen lebt.

Die Art des Zusammenlebens und Teilens ist für uns spannend und lässt uns unser eigenes Wohnmodell überdenken. Doch bevor uns Gedanken zum Leben nach unserer Rückkehr zu sehr beschäftigen, ruft uns der Wetterbericht ins Hier und Jetzt zurück. Er (die vier Wetterapps sind sich ziemlich einig) meldet einen Tag mit Sonne und Rückenwind – unglaublich! Das bedeutet für uns, es ist an der Zeit, die Pferde zu satteln. Wir verlassen Dea und Chris und folgen ihren Routenempfehlungen über kleine Straßen in Richtung Westen. Wenn auch hügelig, so genießen wir doch die Ruhe und die Dörfer, es scheint ein perfekter Radfahrtag.

Wir enden diesen Tag an einem Shelter. Dänemark ist bekannt für die kleinen Holzunterschlüpfe, die für Reisende meist kostenfrei zur Verfügung stehen. Wir haben es zwar auf einen dieser Unterschlüpfe abgesehen, verbringen die Nacht aber dann doch im Zelt. Es hatten sich bereits andere Reisende eingefunden und wir hätten uns wohl keine großen Freunde gemacht, wenn wir uns noch dazwischen gequetscht hätten. Denn der Nachtschlaf ist (noch?) unsere Schwachstelle. Mit dem Baby, das immer wieder aufwacht, fanden wir es am Ende rücksichtsvoller, im Zelt etwas abseits zu schlafen.

Shelter an einem Regentag – ganz für uns allein?

Auch am Folgetag schlafen wir trotz Shelter im Zelt. Hierfür sind ebenfalls andere Leute der Grund, aber diesmal.. anders. Wir hatten uns an dem Sch-Wetter-Tag (wieder mal komplett verregnet) schon wie verrückt über die große Hütte ganz für uns allein gefreut. Unsere Klamotten sind bereits getrocknet und wir wollen gerade das Abendessen zelebrieren, als sich (heute ist Samstag) eine Gruppe Wikinger an der Hütte im Wald versammelt. Um Wikingersachen zu machen. ‚Was genau sind denn Wikingersachen?‘ wollen wir wissen. Nun ja, etwas schnitzen, Pause, und dann kommen nur noch Trinkrituale. Ja, summieren sie, es geht hauptsächlich ums Trinken. Da klar ist, dass sie Party machen wollen und das für das Baby eher keine Schlafumgebung ist, bauen wir also erneut das Zelt auf und hoffen, sie sind nicht zu laut.

David hat Harry entdeckt
Wird es eine ruhige Nacht im Zelt?

Das Gelage geht zwar bis weit in die Nacht, aber die Lautstärke bleibt erträglich. Etwa im Bereich des Plopps, den die Babyluftmatratze des Morgens von sich gibt. David und ich haben mittlerweile zwar eine gemeinsame Matratze, doch nutzt Till die ultralight-kurz-Matratze weiterhin, da seine kaputt gegangen ist. Und nun delaminiert auch die ultralight-Variante! Das ist damit die 3. Matratze, die wir dabei haben, der das passiert. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass einen dieses Schicksal drei Mal hintereinander ereilt?Die Nacht war unabhängig von den Wikingern wenig von Schlaf geprägt. Ich glaube, das Baby war alle 20 Minuten wach. Unsere Nächte waren noch nie gut, bislang habe ich die zweistündigen Aufwachintervalle beklagt. Nun sehne ich diese wieder herbei, ich hoffe die letzte Nacht war eine Ausnahme. Noch so eine Nacht stehe ich nicht durch!Es tröstet perfektes Radfahrwetter, als ich den Kopf aus dem Zelt strecke. Die Temperaturen erreichen 18°C und es gibt ausnahmsweise mal keinen Regen. Erst als wir aus dem Wald heraus treten, merke ich, dass sich zum Schlafmangel heftigster Gegenwind gesellt. Die Route führt uns an der Küste entlang, wir sehen im Wechsel Ebbe und Flut, erleben in den nächsten Tagen im Wechsel Sonne und Regen, und in den Nächten Schlafen und Wachen. Zwar ist es entlang des Deiches flach, doch ist es hier in den Pausen schwer, Deckung zu finden, zum einen vor Wind und zum anderen vor Sonne oder Regen. Und wenn man eine Mauer findet, die Schutz vor der Sonne bietet, dann zieht es dort mit Sicherheit wie Hechtsuppe. Ob der Wind den vielen Schafen auf dem Deich wohl etwas ausmacht? Damit die Tiere bleiben, wo sie sollen, führt der Weg immer wieder über grobe Gitter, über die sich die Schafe nicht trauen. Das hoppert und klappert beim Befahren laut, doch das Baby zeigt sich unbeeindruckt und schläft – ja, am Tag klappt das wunderbar.

Nach einem Tag mit bravem Baby und guten Schläfchen ist unser letzter Abend in Dänemark gekommen und heute erleben wir das Shelterwesen nochmal von einer ganz bemerkenswerten Seite. Wir erreichen einen tollen Shelter mit Dusche, WC und WiFi, alles kostenfrei und somit ist unser Vorhaben, ohne Bargeld (nur EC) durch das Land zu kommen, geglückt. 😀 Wir freuen uns darüber und auch über den ruhigen Platz. Till spannt dem Baby und mir schon das Moskitonetz auf (er passt nicht mit darunter und verbringt die Nacht ganz selbstlos neben uns), dann kommt eine einzige Radfahrerin aus Berlin gegen 18:00 hinzu. Sie bezieht den zweiten 6-Personen-Shelter am Platz und wir warnen sie vor. Ob es eine ruhige Nacht wird? Es ist Samstag, es sind Ferien und der Shelter liegt zentral in der kleinen Stadt. Ob es, unabhängig von unserem Baby, ruhig bleibt und wir schlafen können?

super Shelter am letzten Abend in Dänemark

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2 Jahre zuvor

Hallo ihr drei. Schön, wieder von euch zu hören!
Danke für deine netten Kommentare, Janin. Und dir, Till, für die schönen Bilder.
Kalle

Hanna
2 Jahre zuvor

So schön von euren Erlebnissen zu lesen‘ ich bin gespannt wie es weitergeht! Seid gedrückt 😘

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