Den Balkan bezwungen – zwischen Freude und Verzweiflung

Der bulgarische Grenzbeamte beschaut zunächst unsere Pässe, als EU-Bürger haben wir hier keine Probleme. Dann betrachtet er die Impfpässe. Stille. Der Moment kommt mir ewig vor und meine Gedanken beginnen sogar, sich von ‚Käse, oh je, der Käse‘ hin zu ‚stimmt-etwas-nicht-mit-dem-Impfnachweis?‘ zu bewegen. Dann verweist er uns an ein an der Seite gelegenes Häuschen vom Roten Kreuz und meint, wir sollen die Pässe dort vorzeigen. Kann er es nicht beurteilen oder gibt es ein Problem? Wir schieben also zu einer an einem kleinen Tischschein sitzenden Dame vor dem Häuschen hinüber. Sie fragt uns gleich: „PCR-Test?“ „No, we are vaccinated.“ Wir hoffen doch mal, es ist kein Test nötig und reichen ihr die Impfpässe. So schaut sie sich an, in dem Moment kommt ein Mann in seinem Auto herangefahren, schafft es damit fast zwischen uns und die Dame zu fahren und plauzt sofort lautstark, vom Fahrersitz aus, sein Anliegen an sie heran. Nach ein paar Sätzen mischen wir uns wieder ein: „Entschuldigung, sorry, can we move on?!? „Ok, ok“ sagt die Dame, gibt uns unsere Pässe. Kopfschütteln auf meiner Seite, aber doch auch Erleichterung.

Weiter geht es zur Zollanmeldung. Die zwei Herren würdigen uns kaum eines Blickes und winken uns sofort weiter. Also die fragen gar nicht nach unserem Käse. Gut, dann sagen wir auch nichts vom Käse, sitzen auf und fahren somit in die EU ein. Gemischte Gefühle durchfluten uns. Kein Käsedilemma, juhu. Doch wir hatten so viel Hoffnung auf den Erhalt von Ersatzteilen für die defekten Kurbeln von Rotor hier in Bulgarien gesetzt. Nun überschreiten wir bereits die Grenze und haben noch immer keine Nachricht von der Firma. Ohne überpessimistisch wirken zu wollen, aber die Chancen stehen nicht gerade hoch.

Doch zunächst rollen wir schwungvoll mit einer Stunde Zeitumstellung 550 Höhenmeter nach Kjustendil den Berg hinab. Hier empfängt uns eine Stadt aus Plattenbunkern. Es wirkt, als sei die Zeit in der UDSSR stehen geblieben. Nicht hübsch, aber doch sehr außergewöhnlich. Auf dem Weg durch die Stadt zu einem schattigen Plätzchen für die Mittagspause sehen wir, dass die Geschäfte hier sonntags geschlossen haben. Na zum Glück haben wir den Käse! 😉

Immer wieder ein schöner Anblick – die Storche ziehen den Nachwuchs auf

Als wir die Stadt verlassen und uns auf die Suche nach einem Platz für die Nacht machen wollen, halten wir Ausschau nach Trinkwasser. Auf meiner Karte ist eine Stelle mit Trinkwasser markiert und dort halten wir, um unsere Flaschen zu füllen. Schon beim Heranfahren ist mir ganz komisch, und als ich näher trete noch viel mehr… bähhh… das stinkt ja fürchterlich nach faulen Eiern. Was ist denn da los? Ich halte die Flasche dennoch unter das Rohr, aus dem das Wasser strömt. Vielleicht riecht nur die Umgebung komisch. Doch nein, es handelt sich um eine heiße Schwefelquelle. Hm, schön, aber für Trinkwasser eher ungeeignet. Ich bemühe mich redlich, das Wasser restlos aus der Flasche zu schütten. Hoffentlich bleibt der Geruch nicht anhaften.

Trinkwasser finden – im Balkan doch zumeist kein schwieriges Unterfangen

Bevor wir uns weiter auf Wassersuche machen, widmen wir uns noch einer anderen Aufgabe: Geld abheben. Die offizielle Währung in Bulgarien ist der Lew. Doch da es EU ist, mache ich mir gar keine Sorgen und schiebe bester Dinge meine Visakarte in den Automaten… rödel, rödel… „Diese Karte ist gesperrt“ zeigt das Display und wirft sie mir wieder entgegen. Was?? An dem Einkaufszentrum ist ein weiterer Automat einer anderen Bank, ich versuche es dort erneut, schließlich muss es sich um ein Missverständnis handeln – auch hier das gleiche Ergebnis. „Diese Karte ist gesperrt“. Perplex nehme ich die Karte und laufe wieder zu Till und den Rädern auf der anderen Straßenseite hinüber. Er versucht es mit seiner Karte – auch hier zeigt der Automat das gleiche an: „Diese Karte ist gesperrt“. Till vermutet, dass es wieder ein Visa-Problem ist (hatten wir auf unserer ersten Reise vor vier Jahren auf dem Indischen Subkontinent). Auch wenn uns das erstmal teuer kommt, probiert er es mit der EC-Karte – diese funktioniert. Leider wussten wir beide den Umrechnungskurs in Euro nicht mehr, und haben daher keinen Schimmer, wie viel die 40 BGN, die Till vom Vorschlag auf dem Display ausgewählt hat, nun Euro entsprechen. Weiterhin können wir Tills Konto zu den Gebühren und ob wir diese von der Bank zurück erstattet bekommen nicht checken, da mit Verlust des Handys auch die Zweifaktor-Identifizierung zum Konto weg ist (dieses Problem müssen wir mal noch angehen). Nun gut, aber wir kommen erstmal an Geld, und um den Rest kümmern wir uns… später. (Es wird sich herausstellen, dass 40 BGN = 20 Euro entsprechen)

Beim Warten sehe ich, dass das Kaufhaus eine Toilette im Eingangsbereich hat. Perfekt, hier können wir Wasser zapfen. Beschwingt trete ich also mit den Flaschen hinein. Till ruft mir irgendwas hinterher. Erst verstehe ich es nicht, erkenne dann aber an den Gesten, die er macht, was er mir sagen will. Hier tragen wieder alle beim Einkaufen eine Maske, nur ich eben gerade nicht. Das war mir nach den Ländern, in denen es kein Corona gibt (wie sie sich selber nannten), gar nicht mehr präsent. Also umkehren, Maske suchen und konform gekleidet wieder zum Einkaufszentrum hinein.

Nun sind wir bewaffnet und fahren aus der Stadt raus. Der Verkehr ist gemäßigt und das Land ist so, wie wir es in Erinnerung haben: grün, feuchtwarm und hügelig, ja man könnte sagen: hügelesk. So steigen wir nochmal 200 Höhenmeter auf. Am Straßenrand werden Kirschen verkauft, doch ohne Umrechnungskurs können wir gar nicht beurteilen, ob es ein guter Preis ist. Ich zögere ein bisschen, ach die sehen so gut aus, egal, ich muss welche mitnehmen. Die Kommunikation bezüglich der Menge ist schwieriger als gedacht, ich manage es nicht, weniger als 1 kg zu kaufen. Aber lecker sind sie. Das gibt ein tolles Abendbrot (1 kg war umgerechnet 1,50 €)

Genau oben auf dem Berg befindet sich ein schöner waldiger Teil neben den vorher passierten Feldern, das steuern wir an. Zwar müssen wir ein ganzes Stück über einen Acker schieben, aber die geschützte und abgelegene, ebene Fläche, die wir am Waldrand finden, war das Gehopper allemal wert. Ein unglaubliches Gehopper über einen derart zerpflügten Acker, das mir kaum erklärlich ist, wie der so aussehen kann. Nein, hier wurde nicht gepflügt, es wirkt eher so, als wurde hier gesprengt. Na egal, wir haben einen ruhigen Platz für die Nacht, von dem aus wir zwischen den Bäumen die Sonne untergehen sehen. Und mit Sonnenuntergang soll uns das Licht nicht vergehen. Unzählige Glühwürmchen umschwirren unser Zelt, sie leuchten von Blau-Weiß bis dunkelgelb – ein Licht- und Farbenspiel der ganz besonderer Art. Radreiseleben, I love you. 🙂

Campingatmosphäre

Nach diesem Auftakt kann der folgende Jubiläumstag nur ein guter werden. Heute sind wir genau zwei Monate im Sattel, heute liegt der vorerst letzte große Anstieg vor uns (600 Höhenmeter werden wir hinaufsteigen), dann haben wir die Berge des Balkans bezwungen! Ich hatte mächtig Angst vor dem Balkan, nun ist das Ende greifbar. Die baldige Pause bei den Hosts kommt uns da ganz gelegen, um diesen Moment wirken zu lassen, bevor es dann mit weniger Höhenmetern durch das Faltengebirge Bulgariens von West nach Ost geht.

Mit guter Stimmung packen wir unser Zelt zusammen und schieben den Acker zurück. Gute Stimmung, und gutes Timing! Wir sehen eine große Herde Kühe auf uns zukommen – ach deshalb sieht der Acker so zerbombt aus! Die Kühe auf dem Weg zu ihrer Weide (denke ich mal) sind der Grund. Genau zur richtigen Zeit sind wir wieder auf Asphalt, damit also keiner dem anderen im Wege ist, und dann starten wir erstmal mit einer Abfahrt. Die 200 Höhenmeter vom Vortag geht es hinunter, bevor es wieder ansteigt. In Dupniza gibt es ein Kaufland und wir beladen uns mit Vorräten, damit der Aufstieg auch richtig Spass macht 😉 Die ersten 200 Höhenmeter steigt die Nebenstraße noch recht sachte an, doch dann nimmt der Gradient zu. Da fährt man durch die grünsten Wälder und nimmt doch an, hier etwas Schatten zu haben. Nix da. Wir steigen mit der sonnigen, gut ausgebauten Straße auf, für die eine ordentliche Schneise zwischen die Bäume geschlagen wurde. Schwitzend halten wir ein paar mal, um etwas abzudampfen.

Auf dem Pass wartet zwischen grünen Hügeln und schneebedeckten Bergen in der Ferne ein schattiges Bushäuschen auf uns. Genau richtig, um den Balkangebirge-End-moment wirken zu lassen, mit einer Packung Keksen zu zelebrieren, und das Leben im Dorf etwas zu beobachten. Aus allen Richtungen kommen Arbeiter und lassen sich vor einem kleinen Restaurant nieder. Es wird ihnen Mittagessen serviert und dazu ein Bier. So lebt es sich hier 🙂

Die Berge des Balkangebirges liegen bald hinter uns!

Wir trinken zwar kein Bier, aber eine folgende Abfahrt setzt doch sicher die gleichen Endorphine frei. Es ist nicht mehr weit bis zu den Hosts. Wir freuen uns sehr darauf, endlich wieder richtigen Kontakt zu Menschen zu haben. Durch die Pandemie sind die zwischenmenschlichen Interaktionen mit der Bevölkerung, die sich sonst so ergeben (mal ein Plausch am Gartenzaun, vorm Supermarkt oder auf einer Parkbank), doch deutlich reduziert. Und Jared und Katie sind die denkbar besten Menschen, für eine kommunikative Pause, mit ausführlichem Austausch vieler Geschichten, gemeinsamem Kochen, Backen und Wohlfühlen. Wir werden mit einem üppigen Kiwi-style-Dinner empfangen: vegetarische Burger mit Ei, Süßkartoffelpommes, Gemüse. Schöner hätten wir es uns nicht erträumen können. Natürlich bleiben wir während diesen Tagen weiter daran, den Kontakt zu Rotor herzustellen. Und eines Morgens ist es tatsächlich soweit. Endlich, das Postfach läutet. Eine Rückmeldung von Wolfgang vom deutschen Vertrieb von Rotor! Die Teile, die wir benötigen, sind für den Vertrieb auf unbestimmte Zeit nicht lieferbar, er könne vielleicht gebrauchte Schrauben organisieren. Aber eine definitive Aussage gibt es nicht, auch keine Zeitspanne, im Prinzip sind wir nicht weiter und nicht klüger als vor der E-Mail. Was sollen wir darauf nun antworten? Wie verpacke ich in freundliche Worte: Egal woher, Hauptsache funktional und schnell?

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Martina
2 Jahre zuvor

Das klingt so toll – da bekomm ich direkt Lust, selbst aufs Rad zu steigen…wobei, es regnet in Strömen, lieber Tee kochen, ab auf die Couch und euer nächstes Abenteuer lesen 😊

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